Die am Institut für Theorie der ZHdK organisierte Vortragsreihe stellt die Begriffe Ästhetik, Politik und Ethik nebeneinander und befragt – von deren Relationen ausgehend – „Widerstand“. Sie setzt sich das Ziel die kunstkritische Debatte über die Kunst der 1990er-Jahre, konkret über die relational aesthetic, die participatory art oder die socially engaged art neu zu beleuchten, indem sie insbesondere die Praktiken fokussiert. Diese werden in Anlehnung an Praxistheorien als verkörperte Vollzüge verstanden, durch die sich Subjektivität und soziale Ordnungen performativ herausbilden. Das Interesse der Vortragsreihe richtet sich dabei insbesondere auf die Widerständigkeit ästhetischer Praktiken.
Ethik versus Ästhetik
Nicolas Bourriaud hat die relationale Kunst als eine charakterisiert, die Situationen der Interaktion und Partizipation herstellt, in einem sozialen Zwischenraum agiert und zwischenmenschliche Beziehungen auch außerhalb des Kunstfeldes mobilisiert. Durch die Relationale Ästhetik werde das widerständige Potential der Kunst im sozialen Feld erfahrbar (Bourriand 1998: 31). An der Relationalen Ästhetik wird kritisiert, dass das ästhetische Urteil durch ethische Kriterien abgelöst werde und dass ihr ein zu einfacher, harmoniebedürftiger Subjektbegriff zugrunde liege (Bishop 2004: 66). Anstelle einer Relationalen Ästhetik und der Gleichsetzung von Kunst und Ethik vertritt diese Position einen relationalen Antagonismus und setzt Kunst und Ästhetik gleich.
Ästhetische Praktiken des Widerstandes
Die Vortragsreihe möchte diese Polarisierung aufbrechen, indem sie danach fragt, ob sich ein ästhetischer Widerstand nicht notwendig als eine ethische Praxis reflektieren muss. Ethik ist dann kein moralischer Universalismus, keine humanitär begründete Philanthropie, sie ist vielmehr eine Weise der Selbstreflexion, die sich in einer kritischen Beziehung zu Normen, Regeln und Gesetzen artikuliert. Ästhetischer Widerstand wäre dann nicht notwendig ein aktives oppositionelles Handeln gegenüber der Macht, sondern eine kritische (widerständige) Haltung, oder ein Widerstand, der sich in einer Praxis vermittelt. Diese setzt sich auf der einen Seite in Beziehung zu Normen, Regeln und Gesetzen, erweitert und reformuliert diese und legt die Bedingungen dar unter denen die Regeln ihre Gültigkeit erlangen. Sie mobilisiert auf der anderen Seite zugleich neue Subjektivierungsweisen und soziale Praktiken. Aus dieser Perspektive werden insbesondere mikropraktische Prozesse (der Kunst) interessant, die internalisierte, automatisierte und als natürlich empfundene Praktiken durch Wahrnehmungsverschiebungen aufstören und zerlegen. Eine in dieser Weise reflektierte Praxis erfüllt nicht (vollständig) ihren Zweck, sie widersetzt sich Normierungen und Indienstnahmen und öffnet ihren Spielraum, indem sie existierende Relationen moduliert, andere Konstellationen möglich werden lässt und damit das Potential neuer Handlungsweisen eröffnet. Widerstand wäre dann eine Kunst der Kritik wie sie Michel Foucault beschrieben hat, „die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit“ – eine „Entunterwerfung“ (Foucault 1992: 15). Das heißt eine ethische Verhaltensweise, die die Bedingungen des ästhetischen Widerstandes offen legt und Situationen schafft, in denen sich neue Subjektivierungen bilden können. Denn im Verhältnis zur Macht gibt es „nicht den einen Ort der Großen Weigerung – die Seele der Revolte, den Brennpunkt aller Rebellionen, das reine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.“ (Foucault 1986: 117).
Literatur
Bourriaud, Nicolas (1998), Relational Aesthetics, Dijon: Les Presses du Réel.
Claire Bishop (2006), The Social Turn: Collaboration and its Discontents, in: Artforum, February, 178–183.
Michel Foucault (1986), Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp (1977).
Michel Foucault (1992), Was ist Kritik?, Berlin: Merve.
Helmut Draxler 10.05.2016
Jens Kastner 05.04.2016
Eine kritische Haltung setzt Selbstkritik voraus, die auf der (sozialen und kulturellen) Verortung der eigenen Praxis gründet. Allerdings stößt man bei der Ethik als verortende, selbstkritische Haltung auf ein Dilemma. Michel Foucault hat Kritik als Kunst der „reflektierten Unfügsamkeit“ beschrieben. In der Politik der Wahrheit komme der Kritik die Funktion der „Entunterwerfung“ zu. Andererseits ist man gerade im Rahmen der Wahrheitspolitiken in Praktiken verwickelt, die derselbe Foucault als wesentlichen Bestandteil der „Grundformen unseres Gehorsams“ und der Führung als Regierungstechnik beschrieben hat: die „Diskursivierung seiner eigenen Wahrheit“.
Es stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen und/ oder mit Hilfe welcher Kriterien/ Techniken es gelingt, Entwunterwerfung zu betreiben anstatt subtile Einübung von Gehorsam. Um diese schwierige Frage vorläufig und behelfsmäßig zu beantworten, wird dafür plädiert, die Selbstkritik mit Feld- und Sozialkritik zu verknüpfen, um Entunterwerfung zu ermöglichen. Am Beispiel verschiedener „Ereignisketten“ (Bourriaud) zwischen künstlerischer Praxis und sozialen Bewegungen wird aufgezeigt, wie Wahrheitspolitiken (möglicherweise) zu Einsätzen in gesellschaftliche Kräfteverhältnisse werden.
Jens Kastner, Dr. phil., Soziologe und Kunsthistoriker, ist Senior Lecturer für Ästhetik und Kunstsoziologie am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien. Veröffentlichungen in diversen Zeitungen und Zeitschriften zu Kulturtheorie und Kunstkritik, Geschichte und Theorie sozialer Bewegungen, Anarchismus und Latin American Studies. Seit 2005 koordinierender Redakteur von Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst. ADKV-Art Cologne Preis für Kunstkritik 2011. http://www.jenspetzkastner.de
Michael Hirsch 05.04.2016
Ausgehend von Kants klassischer Unterscheidung von Politik und Ethik soll in dem Vortrag der Nutzen allgemeiner Kategorien wie ‚Politik’ und ‚Ethik’, künstlerischer ‚Schein’ und ‚Realität’ aufgezeigt werden – aber auch ihr Nachteil. Wesentlich sind dabei die verschiedenen Zwecke, Handlungsabsichten und Wirkungsmittel (z.B. ‚Recht’ hier, ästhetische ‚Erfahrung’ dort) ästhetischer und nichtästhetischer Weisen des Handelns und Wahrnehmens. Wie lassen sich solche Begriffe auf zeitgenössische Diskurse und Praktiken des ‚Widerstands’ beziehen?
Michael Hirsch, Dr. phil. habil. ist Philosoph und Politikwissenschaftler (PD) für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte sind zeitgenössische politische Theorie; politische Ökonomie, Feminismus; Kunsttheorie. Er war Teilnehmer an der documenta 10 (1997) als Mitglied der „Jackson Pollock Bar“ (Theorie-Installationen). Lehrtätigkeit im Bereich Politische Philosophie, Politikwissenschaft und Ästhetik an den Universitäten Frankfurt am Main und Hamburg, an der TU München, an der Akademie der Bildenden Künste München und an der Merz-Akademie Stuttgart. Hirsch ist freier Autor und Dozent im Bereich politische Bildung in München. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Utopien des Überflusses. Über künstlerische Arbeit und Bildung in den Zeiten der Krise, Köln 2016 (im Erscheinen); Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft. Eine politische Philosophie der Arbeit, Wiesbaden 2016; Logik des Widerstands. 10 Thesen zu Kunst und Politik, Hamburg 2015; Warum wir eine andere Gesellschaft brauchen!, München 2013; Die zwei Seiten der Entpolitisierung. Zur politischen Theorie der Gegenwart, Stuttgart 2007.
Beate Ochsner 12.04.2016
Mikropolitik meint nicht eine Politik im Kleinen, noch das Handeln Einzelner in Differenz zum großen Ganzen. Vielmehr zielt der Begriff auf die Vielzahl interagierender Bewegungen, die reale, indes nicht-repräsentative gesellschaftliche Dispositive, kollektive Gefüge und Assoziationen durchziehen. Im Vortrag soll versucht werden, Mikropolitiken im Handlungsfeld Cochlea Implantat zu beschreiben. Dabei geht es nicht um die Entscheidung, ob das CI ein „medizinisches Wunder“ (Neujahrsansprache Merkel) oder ein „tool of cultural genocide“ (Rao) darstellt, vielmehr möchte ich darauf eingehen, welche mikropolitischen Bewegungen Menschen interpellieren und diese im Zeichen gesellschaftlicher Teilhabe zum Hören befähigt. In diesem Kontext gilt es weiterhin zu fragen, inwieweit das Recht auf Teilhabe mit der Fähigkeit zum Hören bzw. lautsprachlicher Kommunikation verknüpft wird und wie auf diese Weise das Versprechen und gleichzeitig die Zumutung verbunden werden, gehörlose oder schwerhörige Menschen in z.T. langwierigen und nicht immer erfolgreichen Adaptationsprozessen (mapping) in hörende Subjekte zu transformieren? Inwieweit, so wäre fortzufahren, werden mit dem Inklusionsangebot gleichzeitig Inanspruchnahmen verfertigt, die die Ansprechbarkeit von Subjekten an die Norm der Lautsprache koppeln, und in welchem Maße wird das CI in diesen Assemblagen zum soziotechnologischem Mediator, der Gehörlose potentiell zu ansprechbaren und verständigen Subjekten macht?
Anhand exemplarischer Gebrauchsweisen des CI soll mithin beschrieben werden, welche Versprechen auf Teilhabe mit der Neuroprothese verbunden werden, aber auch welche Widerstände, Macht- Kontrollmechanismen sowie Störungen und Irritationen in potentiell offen gedachten medialen Teilhabeprozessen mitverfertigt werden, in denen und durch die ein spezifisches Wissen über Gehörlosigkeit, Hören und/oder CI-Hören hervorgebracht wird. Auf diese Weise soll deutlich werden, dass sich mit dem CI nicht nur ein Versprechen auf „Hören trotz Taubheit“ und mithin auf soziale Teilhabe verbindet, sondern diesem zugleich mit der Anrufung (und dem damit verbundenen Subjektivierungsproozess) eine Aufforderung zur Kollaboration eingeschrieben ist, der sich die Subjekte mikropolitisch oder – wie zu zeigen sein wird – ‚neurotechnopolitisch‘ beugen.
Beate Ochsner ist Sprecherin der DFG-Forschergruppe “Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme” an der Universität Konstanz. Seit 2008 ist sie dort als Professorin für Medienwissenschaft tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte fokussieren mediale Teilhabeprozesse, audiovisuelle Produktion von Dis/Ability, mediale Praktiken des Sehens und Hörens, Monster und Monstrositäten sowie Filme als Experimentalsysteme. Ihre Habilitationsarbeit trägt den Titel DeMONSTRAtion. Zur Repräsentation des Monsters und des Monströsen in Literatur, Photographie und Film und ist 2010 im Münchner Synchron Verlag erschienen. Zusammen mit Robert Stock gibt sie den Sammelband SenseAbility. Mediale Praktiken des Sehens und Hörens (zus. mit Robert Stock, Bielefeld: transcript, im Erscheinen) heraus. Mit Anna Grebe hat sie Andere Bilder: Zur Produktion von Behinderung in der visuellen Kultur, Bielefeld: transcript 2013, herausgegeben. Als Redaktionsmitglied der Zeitschrift AugenBlick. Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft hat sie, zus. mit Isabell Otto und Markus Spöhrer, das Themenheft: Objekte medialer Teilhabe (together with Isabell Otto and Markus Spöhrer), Marburg: Schüren, 2013 herausgegeben. Letzte Artikel: „Cave of Forgotten Dreams (Werner Herzog, 2010) oder: Zur Ko-Existenz (audio-)visueller Praktiken“, in: Markus Spöhrer (ed.): Die ästhetisch-narrativen Dimensionen des 3D-Films. Neue Perspektiven der Stereoskopie, Springer VS: Wiesbaden, 2016, S. 181-195; „Human, Non-Human, and Beyond: Cochlear Implants in Socio-Technological Environments”, in: NanoEthics 9.3, 237-250 (2015, (together with Robert Stock and Markus Spöhrer); “Das Hören des Cochlea-Implantats“, Historische Anthropologie 22.3 (2014, together with Robert Stock); “Mapping the brain. Neuropolitics and the design of Cochlear-Implant-Activation-Videos”, in Documentary and Disability, ed. by Catalin Brylla/Helen Hughes, London: Routledge, im Erscheinen.
Roberto Nigro 12.04.2016
Offenbart die Kunst auf skandalöse Weise die Wahrheit? Ist sie in diesem Sinne mutig?
Für die Griechen stellte die Kunst einen Modus der Wahrheit dar. Das Kunstwerk war ein Hervorbringen, das die Wahrheit ans Licht bringt. In diesem Zusammenhang bestand die Kunst in keinem praktischen, willentlichen Prozess. Der Eintritt der Kunst in die ästhetische Dimension ist möglich, wenn die Kunst selbst bereits die Sphäre der Produktion als Hervorbringung verlassen hat und in die der praxis hinübergewechselt ist. In unserer Zeit wird die produktive Tätigkeit des Menschen als Praxis verstanden. Alles, was der Mensch tut, ist Praxis, Ausdruck des Willens. In der Evolution des okzidentalen Denkens ist das Kunstwerk aus der Sphäre der poiesis in jene der praxis hinübergewechselt und hat seinen Status im Rahmen einer Metaphysik des Willens, das heisst des Lebens und seiner Kreativität, gefunden.
Aber dieses moderne Regime der Kunst haben wir schon seit jeher abgelegt oder sind auf dem besten Weg, es hinter uns zu lassen. Diese Veränderungen im ästhetischen Bewusstsein und ästhetischen Paradigmen können in ihren vollen Bedeutungen begriffen werden, nur wenn sie als spezifische Symptome einer übergreifenden Veränderung des Kapitalismus begriffen werden und am Horizont der Transformationen der kapitalistischen Produktionsweise analysiert werden.
Hier findet die Kunst seinen Status nicht mehr im Rahmen einer Metaphysik des Willens sondern im Rahmen von Dispositiven und Wahrheitsregimen. Ihr gehört wieder die Aufgabe, die Wahrheit ans Licht zu bringen: aber nicht mehr in der Form der Entbergung sondern in der des Wahrsprechens. Ihr gehört der Versuch der Entunterwerfung und der Erfindung des Gemeinsamen.
Der Philosoph Roberto Nigro ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und Programmdirektor am Collège International de Philosophie in Paris. Er studierte Philosophie, Literatur und politische Theorie in Bari, Frankfurt am Main und Paris und hatte Gastdozenturen an der Harvard University, an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS)- Paris, an der École Normale Supérieure (Lyon), am Centre Foucault (IMEC, Paris), an der FU Berlin und an der Universität Basel (Eikones) inne. Nigro war Assistenzprofessur in Paris an der American University und an Michigan State University. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Philosophie, Ästhetik, Kulturwissenschaften, Strukturalismus/Post-Strukturalismus, Operaismus/Postoperaismus und Theorien des Subjekts. Er ist Mitherausgeber von Inventionen 1. Gemeinsam. Prekär. Potentia. Kon-/Disjunktion. Ereignis. Transversalität. Queere Assemblagen, hrsg. von Isabell Lorey, Roberto Nigro, Gerald Raunig, Zürich: diaphanes 2011. 2015 veröffentlichte er Wahrheitsregime, Zürich: diaphanes. Derzeit arbeitet er an einer Monographie über Foucault's Political Thought.
Birte Kleine-Benne
Nach mehreren Jahrzehnten partizipativer Kunst und wenigeren Jahren ihrer Theoretisierung und Historisierung, die Themen, Typen, Wirkungsabsichten, Rezeptionsmodi, Beteilungsgrade und Adressierungstechniken bestimmten, scheint es mir an der Zeit zu metaieren und zu prüfen, in welchem Verhältnis Partizipation zum Regime der Kunst (Rancière) steht: Was in-formiert Partizipation hinsichtlich des Regelwerks und der Standards (Virno) der Kunst und der Kunstwissenschaften, welche Aktualisierungen sind zu beobachten oder > einzufordern? „Partizipierend das Regime der Kunst durchkreuzen“ – diese ordnungspolitische und systemische These, die mit der Partizipation in den Maschinenraum der Kunst und der Kunstwissenschaften geht und nicht mehr nur regime-ausdifferenzierende Gattungs-, Stil- oder Modifragen > stellt, würde auch erklären, warum Partizipation zu blinden Flecken führt und zwar in Form einer entweder überhöhenden (das Durchkreuzen des Regimes feiernden) oder einer missbilligenden (das Durchkreuzen des Regimes revidierenden) Theoretisierung.
Birte Kleine-Benne, Dr. phil.,
2006 Promotion in Hamburg. Lehraufträge, Gastprofessuren und Vertretungsprofessuren an der Universität der Künste Berlin, der Universität Hamburg, der Burg Giebichenstein/Kunsthochschule Halle und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Theoretische und angewandte Forschungen sowie Publikationen zu zeitgenössischen bzw. sog. nächsten Formen von Kunst- und Theorieproduktion, von Präsentations-, Rezeptions- und Vermittlungsformen, die ihrerseits Bild-, Kunst-, Ästhetik- und Wissenstheorien sowie dazugehörige Geschichten der Moderne informieren.
Melanie Reichert
Auf Grundlage der theatertheoretischen Schriften Antonin Artauds geht der Vortrag der Frage nach, inwiefern Unverständlichkeit als Strategie des ästhetischen Widerstands fungieren und Teilhabe ermöglichen kann. Für Artaud sind die Krise der Kultur und die Krise des Theaters seiner Zeit eng miteinander verknüpft: Die szenische Form bietet, richtig angewendet, das Potential, Widerstand gegen die Entfremdung und Erstarrung kultureller Konventionen zu leisten. Dazu muss herkömmliches Bedeutungsverstehen szenisch gebrochen werden. Das Ziel ist, neben einer Revision von Theater, auch eine Revision von Kultur, so Artaud. Unter Bezug auf philosophische Kulturtheorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich zeigen, dass Artauds Theaterästhetik Kultur selbst als Weltverhältnis schöpferischer Teilhabe szenisch offenlegt. Zugleich verweist sie auf das Ungewisse, das einer solchen Teilhabe zugrundeliegt. Der Vortrag fragt nach den Verschiebungen des Begriffs des Widerstands, die sich aus der Konfrontation mit Ungewissem ergeben, und versucht dann, diesen unter Bezug auf die aristotelische Philosophie der Lebenskunst neu abzustecken.
Melanie Reichert ist Doktorandin am Philosophischen Seminar der Christian-‐Albrechts-‐Universität zu Kiel. Nach künstlerischen Tätigkeiten an verschiedenen deutschen Theatern promoviert sie seit 2013 zu den philosophischen Implikationen der Theaterkonzepte Brechts und Artauds. Ihre Schwerpunkte sind dabei der Zusammenhang von künstlerischer Epistemologie und ästhetischer Kulturkritik, Theorien des Nichtverstehens, Kulturphilosophie, Repräsentationskritik, sowie Zusammenhänge von Ästhetik und Soziologie. Aktuell ist sie Mitglied der NachwuchsforscherInnengruppe „Theater als Kritik“ der Gesellschaft für Theaterwissenschaft. Sie lehrt am Philosophischen Seminar der Universität Kiel und an der Muthesius Kunsthochschule Kiel.
Marita Tatari
Für die Ästhetik der Moderne war die Kunst dank ihrer Autonomie weltverändernd. Der Vortrag fragt nach den Grenzen dieser Vorstellung. Er diskutiert ihren Zusammenhang mit dem Projekt einer Selbstverwirklichung der Menschheit sowie dessen Dekonstruktion; im Zentrum dieser Vorstellung sieht er die Kunsterfahrung und arbeitet sie heraus. Er argumentiert, dass heute - nach der Auflösung des modernen Projekts - diese Vorstellung ihre Selbstverständlichkeit verloren hat. Die res extensa, die äußere Ausdehnung der Kunst, tritt gegenwärtig als Teilhabe an etwas hervor, das nicht mehr mit der Logik einer Verwirklichung verbunden ist. Ob die Kunst also noch weltverändernd ist, muss neu durchdacht werden.