Mathias Denecke, Markus Spöhrer, Robert Stock, Maria Zhukova

Über Versprechen, Widersprüche und Zumutungen der Teilhabe

Mittwoch, 20. November 2013 | 17:00 Uhr | Hörsaal A 703

In vier kurzen Vorträgen werden MitarbeiterInnen der Forschungsinitiative „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“ aus Konstanz Einblicke in laufende Arbeiten geben:

Mathias Denecke diskutiert die Hervorbringung von Gemeinschaften in medialen Austauschprozessen sowie die damit einhergehenden Rückseiten der Versprechen auf Teilhabe an all-inklusiven App-Kulturen. Im Mittelpunkt des Vortrags stehen die durch die Mit-Teilungen des Smartphones ermöglichten oder verhinderten Formierungen von Gemeinschaften. Dabei werden die Versprechen und Versagungen medialer Teilhabe anhand der dynamisierten Trias aus technisch-technologischer Einschreibung (in Software- und Hardwarekomponenten), diskursiver Zuschreibung (wie z.B. firmeneigener (audiovisueller) Werbung) und Aktualisierung durch User-Praxen (übersetzt in Foren, Blogs, Video-Tutorials) analysiert. Zentral sind die Verfertigung der Bedingungen und Möglichkeiten von Teilhabe an Gemeinschaften, die jeweils mit bestimmten Zumutungen einhergehen.

Markus Spöhrer stellt in seinem Vortrag sozial- und kulturwissenschaftlichen Partizipationsmodellen zu Automobil-Gemeinschaften, hier im Besonderen sogenannten Custom Cultures (Automobilmodifizierung), ein medienphilosophisches bzw. ontologischen Modell von (medialer) Teilhabe entgegen: Zunächst werden kulturwissenschaftliche „Top-Down-Modelle“ von Partizipation beschrieben und die damit verbundenen Individualisierungsbegriffe. Darauffolgend wird ein Ansatz von Teilhabe in Automobilkulturen entwickelt, der als „Mit-Sein“ im Sinne Jean-Luc Nancys bzw. als gemeinsames Erscheinen beschrieben werden kann. Dieser Ansatz versteht Teilhabe nicht im Sinne eines vertikalen, dialektischen und direktionalen Modells von Partizipation , sondern als relationalen Prozess, der weder ein „Oben“, noch ein „Unten“ als Ausgangspunkt solcher Prozesse, sondern jene Grenzziehungen als Ergebnisse oder „mediale Effekte“ versteht.

Robert Stock untersucht Konstellationen medialer Teilhabe anhand des Zusammenhangs von Neurotechnologie und Behinderung. Als Beispiel werden Netzhautimplantate herangezogen. Mit solchen Biotechnologien verbinden sich vielfach Versprechen auf mehr Teilhabe. Zugleich müssen sich Erblindete im Falle einer Entscheidung für ein Implantat unterschiedlichsten Zumutungen aussetzen, die der Vortrag nachzeichnen wird. In einem dritten Schritt wird herausgestellt, dass der Einsatz von Technologien, die auf den Abbau von Barrieren abzielen, oft mit der Einziehung neuer Grenzen verbunden ist. In diesem Fall betrifft das die diskursive Produktion eines Normal-Sehens und eines als künstlich markierten Implantat-Sehens.

Maria Zhukova konzentriert sich auf Repräsentationen des medialen Widerspruchs, die in spät- und nachsowjetischer Reflexion des Fernsehens in Film und Literatur zur Geltung kommen. Im Vordergrund steht eine sich im Russland der 1960-1990er Jahre entwickelnde markante Gegenläufigkeit der kulturellen Effekte des expandierenden Mediums Fernsehen, das einerseits in den einschlägigen Medien- und Literaturzeitschriften als ein Zukunftsmedium der sowjetischen Kultur gefeiert wird, sich anderseits für die Kommunikation des sowjetischen Ethos als zunehmend unbrauchbar und leer erweist. Besprochen werden ausgewählte Filme („Moskau glaubt den Tränen nicht“) und literarische Texte (V. Sorokin, V. Pelevin), die die telemediale Dekonstruktion des Sowjetischen sowie die Wandlung der gemeinschaftsstiftenden Strategie des Mediums im Blick auf die politischen Umbrüche in Russland sichtbar machen.

Literatur:
Jean-Luc Nancy: Das gemeinsame Erscheinen. Von der Existenz des Kommunismus zur Gemeinschaftlichkeit der Existenz. In: Joseph Vogl (Hrsg.): Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Frankfurt/M.1994, S.167–204.

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