Impulsreferat zu Jean-Francois Braunstein: Die Geschichte des Regionsbegriffs in der Epistemologie
Beate Ochsner (Konstanz)
Impulsreferat zu Jean-Francois Braunstein: Die Geschichte des Regionsbegriffs in der Epistemologie, in: Situiertes Wissen und regionale Epistemologie, hg. v. Astrid Deuber-Mankowsky/Christoph F. E.Holzhey, Wien/Berlin 2013, S. 35-50.
Beate Ochsner ist seit 2008 Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz. Zuvor war sie Assistentin am Lehrstuhl für Romanistik I an der Universität Mannheit und nahm Gastdozenturen und Lehraufträge an den Universitäten Innsbruck, Basel und St. Gallen wahr. Sie habilitierte sich 2002 mit der Arbeit DeMONSTRAtion. Zur Repräsentation des Monsters und des Monströsen in Literatur, Fotographie und Film. Sie ist Sprecherin der Forschergruppe “Mediale Teilhabe” und leitet das Teilprojekt 2: “Recht auf Mitsprache: Das Cochlea-Implantat und die Zumutungen des Hörens”.
Die Forschungsschwerpunkte von Beate Ochsner liegen im Bereich der audiovisuellen Produktion von Dis/Ability, den medialen Praktiken des Sehens und Hörens, medialen Teilhabekulturen, Monster/Mon- strositäten, dem deutschen Kino und Intermedialität.
Konstellationen der Teilhabe durch Sammlungsobjekte regionaler Kulturlandschaft vermittelnder Museen
Verena Lechner (Dornbirn)
Aktive Nicht-Teilhabe. Miszellen zum Thema Countermeasures, 1791, 1943, 1993
Christoph Borbach (Siegen)
Wenn Situationen der Teilhabe Teilhabende und nicht-Teilhabende verorten, wie es im Call für die Sommerakademie hieß, trifft dies keine Aussage über densubjektiven Status der Teilhabenden und entsprechend nicht-Teilhabenden, was die Frage impliziert: Muss Teilhabe notwendigerweise aktiv sein? Und: Muss Teilhabe notwendigerweise bewusst stattfinden? Befreien wir uns für einen Moment von der Metaphorik des Begriffs Verortung – “einen festen Platz in einem bestimmten Bezugssystem zuweisen”, so der Duden – und lesen diesen seine historischen Bedingungen entsprechend als Orts- bzw. Positionsbestimmung, wobei wir uns nun im Kontext der Technikgeschichte der Ortung befinden (eine Geschichte, deren Ausformulierung noch aussteht). Geortetes hat hier in konkreten Situationen notwendigerweise Teil an der Logik einer Heterotopie, gleich ob das Geortete und somit gleichfalls DER/DIE Geortete (und das heißt: Mensch) dies überhaupt erfährt. Zweitens: Metaphern zu umgehen ist Voraussetzung für eine harte Arbeit am Begriff. So ist der Begriff der Ortung nun explizit regional (und somit zum Einen dem inhaltlichen Akademiepunkt der ”Regionalität” zuzuordnen), denn er ist konkret situiert, nämlich physikalisch. Zum Anderen können so die infrastrukturellen Bedingungen von Teilhabe und nicht-Teilhabe zum Vorschein kommen: Der Vortrag wird anhand von 3 exemplarischen historischen Stationen und Situationen, die in epistemologischer Hinsicht vielmehr ahistorische Praktiken durchscheinen lassen, darlegen, wie systemische und/oder medientechnische Neuerungen Situationen der Teilhabe konstituieren und Praktiken aktiver Nicht-Teilhabe evozieren. Diese drei Stationen sind Benthams Konzeption des Panopticons (1791), Radar-Gegenmaßnahmen (offiziell: Countermeasures) der Alliierten während der so genannten Operation Gomorrha 1943 und die erste digital vernetzte und somit online-Webcam (ab 1993 online). Hierbei wird gezeigt, dass Teilhabe nicht notwendigerweise ein von den Akteuren wünschenswertes Phänomen ist. Zudem dass die Verweigerung von Teilhabe Aktivität statt Passivität erfordert: eben jene Countermeasures, die Gegenmaßnahmen. Somit wird das alltägliche Verständnis von Teilhabe erweitert, die sonst mehr oder weniger denknotwendig mit Aktivität verbunden ist, nicht-Teilhabe folglich mit vermeintlicher Passivität. Teilhabe wird hier auch im Sinne Platons Auslegung der Methexis verstanden.
Christoph Borbach untersucht in seinem medienwissenschaftlichen Promotionsvorhaben Operationalisierungen von Laufzeitdifferenzen und widmet den ersten Schwerpunkt seiner Arbeit zeitkritischen Ortungstechnologien. Die Entwicklung eben jener für effektive und störungsfreie Praxis ist ko-konstituiert durch und mitbestimmt von Situationen der Störung, Countermeasures, die wiederum Counter-Countermeasures provozierten.
Impulsreferat zu Pred, A. (1983): Structuration and Place
Judith Ackermann (Siegen)
Impulsreferat zu Pred, A. (1983): Structuration and Place: On the Becoming of Sense of Place and Structure of Feeling. Journal for the Theory of Social Behaviour, 13: 45-68.
Studium der Medienwissenschaft, Computerlinguistik, Psychologie und Schauspiel in Bonn und Köln, Promotion in Medienwissenschaft an der Universität Bonn (2011); seit April 2016 wissenschaftliche Koordinatorin des DFG-Graduiertenkollegs „Locating Media“ an der Universität Siegen, zuvor Lehrkraft für besondere Aufgaben im medienwissenschaftlichen Seminar Siegen (2013-2016); 2012-2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Abteilung: Digitale Medien in der beruflichen Bildung, PT-DLR); 2007-2011 Lehrbeauftragte und Lehrkraft für besondere Aufgaben im Institut für Kommunikationswissenschaft Bonn; Gastprofessuren an der School of Design des Politecnico di Milano (2015, 2016) und der Filmuniversität Babelsberg (Digitale Medienkultur, 2012/13), Initiatorin des internationalen Urban Games Festivals playin’siegen (2015), Teil des Koordinationsteams der AG Games (Gesellschaft für Medienwissenschaft), Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Hybride Realitäten, (ortsbasiertes) Gaming, Theater & Performance, Design as Research, Medienbildung, Medienkommunikation.
Hybride Räume? Transformationen traditioneller Wirklichkeiten am Beispiel des Konferenzformats BarCamp
Janine Klemmt (Hamburg)
Mit dem spatial turn ist in den Sozial- und Kulturwissenschaften der Raum in den Mittelpunk des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Raum (mhd. rûm „das nicht Ausgefüllte“), nicht definiert, aber attribuiert durch seine Kontingenz beeinflussenden Grenzen, meint zunehmend auch den internetbasierten Handlungsraum bzw. (gerade seit der Mobilwerdung des Internets) die Überlagerung, Durchdringung und Erweiterung von traditionellen durch internetbasierte Realitäten. Adriana de Souza e Silva (2006) spricht von „Hybriden Räumen“ (hybrid spaces).
Bei BarCamps handelt es sich um ebensolche komplexen Vermischungen von zwei zuvor getrennten Handlungskonzepten: der traditionellen Konferenz und der Onlinecommunity. BarCamps (Bar steht in der Informationstechnik für den Platzhalter einer Variablen) sind junge Formen von Konferenzen, bei denen „Partizipation zum Prinzip erhoben“ wurde (vgl. Feldmann u. Hellmann 2016). Sie zeichnen sich durch Offenheit, Teilhabe und Interaktion auf Augenhöhe aus: Teilnahmebeschränkungen sind inexistent, jegliche Themen werden allein aus Teilnehmervorschlägen vor Ort generiert, Hierarchiefreiheit wird postuliert – es handelt sich um user generated conferences.
Janine Klemmt, Doktorandin am Graduiertenkolleg „Lose Verbindungen. Kollektivität im digitalen und urbanen Raum“ (Universität Hamburg), interessiert sich für die gegenwärtig stattfindenden Transformationen sozialer Interaktionsformen und traditioneller Wirklichkeiten durch die Nutzung internetbasierter Medien. An der Schnittstelle von Soziologie und Medienwissenschaft fokussiert sie mit der Untersuchung von BarCamps die Verschränkung internetbasierter und kopräsenter Kommunikation und die Konstitution hybrider Räume. Ihr Masterstudium der Interdisziplinären Medienwissenschaft (Universität Bielefeld) hat Janine Klemmt mit einer medienlinguistischen, das Informationsgefälle zwischen Bild- und Tonebene herausstellenden, Analyse von Nachrichtensendungen abgeschlossen. Neben ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung ist Janine Klemmt redaktionell in einer Onlineredaktion des NDR tätig.
Platzverweise für Spieler: Teilhabeprozesse des digitalen Spielens
Markus Spöhrer (Konstanz)
Anhand der theoretisch-methodischen Prämissen der Akteur-Netzwerk-Theorie stellt der Beitrag ein Konzept des digitalen Spielens (Gaming bzw. Video-Gam- ing) im Sinne einer „medialen Teilhabe“ vor. Anstatt eine vorgelagerte Definition von Videospielen zu leisten, die sich auf technologische Bedingungen beschränkt, Videospiele(n) auf Repräsentationstechnologien reduziert oder lediglich auf menschliche Handlungsmacht zurückführt, wird dieses als soziotechnisches Arrangement verstanden, in dem sich heterogene Entitäten wechselseitig bedingen. Die vielfach für digitales Spielen als definitorisches Charakteristikum gehandelte „Interaktivität“ wird als Prozess verstanden, in dem sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Elemente in einem ko-konstitutiven Verhältnis zueinander stehen. Digitales Spielen ist dabei immer ein „Mit-Sein“ von diskursiven, technischen und sozialen Elementen und Praxen, d.h. reziproke Übersetzungs- und Verknüpfungsprozesse, die sich einer Reduzierung auf jeweils einzelne Elemente verweigern.
Im Zentrum des Beitrags stehen dabei die konstitutiven Bedingungen des Spielens, die letztendlich immer nur situativ und relational verhandelt werden können. Schließlich wird eine Anbindung dieses Konzepts an poststrukturalistische (differenzlogische) Medientheorien angeboten, aufgrund derer eine Fixierung von Elementen wie z.B. „Körper“, „Mensch“, „Maschine“, „Spiel“ oder „Spieler“ als unmöglich erscheint und vielmehr eine konstante und prozessuale Verschiebbarkeit dieser Elemente postuliert wird.
Markus Spöhrer hat Amerikanistik, Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen studiert sowie Media Studies an der Universität Miami. 2015 hat er in der Medienwissenschaft der Universität Konstanz mit dem Dissertationsprojekt «Film als epistemisches Ding: Zur Produktion von Hip Hop-Kultur und Till Hastreiters Status YO!» promoviert. Er arbeitet als Postdoktorand momentan im Rahmen des DFG-Projekts «Mediale Teilhabe» (Konstanz) im Teilprojekt «Recht auf Mitsprache: Das Cochlea-Implantat und die Zumutungen des Hörens». Seine Lehr- und Forschungsbereiche sind: Film- und Medientheorie, 3D-Filme, Kulturen des Cochlea Implantats, deutscher Gegenwarts lm, E-Learning und Science and Technology Studies.
Spielräume im Spielfeld schaffen? Zum Wechselspiel der Situationen im Computerspiel
Philip Hauser (Konstanz)
Damit ein Computerspiel zum eSport geeignet ist, erfährt es zumeist weitere Einschränkungen von ,außen‘. Die Rahmung des Spiels wird weiter verengt und so Vergleichbarkeit nach ,innen‘ ermöglicht. Im Bereich des mobile gamings findet man teils gegenläufige Bewegungen, wenn die ganze Welt zum Spielfeld zu werden scheint. In beiden Fällen hat man es jedoch mit den gleichen Prozessen von Ein- und Ausschlüssen zu tun, die ein Spiel erst ermöglichen.
Spielfelder bilden Rahmungen, die das Spiel gegenüber einem ,Außerhalb‘ ab- grenzen und das ,Innerhalb‘ mit klaren Regeln strukturieren. Spielräume scheinen im Spiel immer schon mitgedacht, womit ein Zusammenbrechen des Rahmens verhindert werden soll. Dies bedeutet für die Spieler-Position einerseits eine Fixierung in diesem Rahmen. Andererseits ist sie permanent wechselnden Situationen unterworfen. Diese zwei Überlegungen des Spielfelds und des Spielraums möchte ich in meinem Beitrag kritisch befragen und versuchen aufzuzeigen, dass der Rahmen stets selbst auf dem Spiel steht, sobald gespielt wird.
Philip Hauser absolvierte seinen Bachelor in Deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Konstanz. Derzeit studiert er Literatur-Kunst-Medien im Masterstudiengang und bereitet seine Abschlussarbeit vor, mit dem Titel „Gestörte Computerspiele – Käfer, Ratten und Grashüpfer“. Er arbeitet als Forschungsstudent im Teilprojekt 3 „Smartphone-Gemeinschaften. Teilhabe als Versprechen und Zumutung“ mit und ist dort mit einem neuen Forschungsschwerpunkt zu den Themen ‚mobile gaming‘ und Computerspiele betraut. In diesem Rahmen hielt er bei der GfM-Jahrestagung 2015 einen Vortrag zu „Gemeinschafts-Utopien in Clash of Clans“. Im Sommersemester 2016 gab er gemeinsam mit Isabell Otto ein Seminar zu „Medientheorien des Computerspiels“.
Impulsreferat zu Star, S. & Bowker, G. (2010): “How to infrastructure.”
Axel Volmar (Siegen)
Impulsreferat zu Star, S. & Bowker, G. (2010): “How to infrastructure.” In: L.A. Lievrouw & S. Livingstone, Handbook of new media: Social shaping and social consequences of ICTs. London: SAGE, 230-245.
Axel Volmar arbeitet zur Zeit als Mellon Postdoctoral Fellow am Department of Art History & Communication Studies der McGill University. Ab August 2016 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen mit einem Forschungsprojekt zur Geschichte audiovisueller Telekommunikation und digitaler Multimedia-Standards zwischen Spezialisierung und Universalisierung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Geschichte digitaler Medien, Medien und Temporalität sowie Sound Studies und auditive Kultur. Seine Dissertation erschien 2015 unter dem Titel Klang-Experimente. Die auditive Kultur der Naturwissenschaften 1761–1961 im Campus Verlag. Er ist u.a. Herausgeber der Ausgabe „Von akustischen Medien zur auditiven Kultur. Zum Verhältnis von Medienwissenschaft und Sound Studies“ der Zeitschrift Navigationen. (Heft 15/2, 2015, zus. mit Bettina Schlüter) sowie der Sammelbände Auditive Medienkulturen. Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung (Bielefeld 2013, zus. mit Jens Schröter) und Zeitkritische Medien (Berlin 2009).
Imagination and Accountability in the Everyday of Civil Control Rooms Unravelled
Asher Boersma (Siegen)
Asher Boersma (@asherboersma) is a Phd researcher on the DFG postgraduate programme ‘Locating Media’, at Siegen University. His research looks at technologically mediated work (ethnographically) and its representations (media archeologically). It focuses on the advent of infrastructure control rooms and how they have developed from manned stations towards more algorithmic autonomy, from the 1950s to today.
Teilhabe versus Anwesenheit – „Werkstatt Wittgenstein wortlos“ zum „Doing Da Sein“ in der Medienkindheit
Bina Elisabeth Mohn (Siegen)
In der Sommerakademie werden unterschiedliche Felder und Blickwinkel auf „Teilhabe“ versammelt sein. Mein Beitrag besteht darin, die Begriffe „Teilhabe“ und „Anwesenheit“ aneinander zu schärfen und zum anderen aufzulösen in das „Sprachspiel“ (Wittgenstein) beobachtbarer Praxis, dem „doing“ Teilhabe/ „doing“ Anwesenheit. Zur Diskussion stellen möchte ich, wie different Praktiken im Rahmen eines „Sprachspiels“ sein können und wie sie als „Zwischenglieder“ analytisch bearbeitet und auf ihre „Familienähnlichkeiten“ hin befragt werden können.
Methodologisch zielt die Idee der „Werkstatt Wittgenstein wortlos (WWw)“ (siehe Mohn 2013) auf ein analytisches Format zeigender Ethnographie. Beobachtbare (nonverbale) Praktiken des „Anwesend- oder Abwesend Seins“ sollen über Kameraführung und Filmschnitt sichtbar gemacht und im Zusammenhang ihres „Sprachspiels“ untersucht werden, auch wenn es sich dabei um Praktiken handelt, bei denen nicht oder kaum gesprochen wird. Es sollen besondere und kontrastreiche Varianten der „wechselseitigen Verfertigung je spezifischer relationaler Gefüge“ (siehe Ausschreibungstext) als „Zwischenglieder“ aufgespürt, untersucht und nebeneinander gestellt werden. Auf diese Spezifik relationaler Gefüge nehmen unser Projekt und meine Versuche zu einer kamera-ethnographischen visuellen Analytik Bezug.
Mein Beitrag zur Sommerakademie besteht in einem medien- und methodenreflexiven Zugang zur ethnographischen Erforschung von Praktiken der Anwesenheit – im Kontrast zu Praktiken der Teilhabe – und deren visuellen Präsentation und Rezeption im Rahmen der auch beim Forschen entstehenden Infrastrukturen und Öffentlichkeiten.
Dr. Bina Elisabeth Mohn ist Mitarbeiterin des SFB “Medien der Kooperation” an der Universität Siegen, im Teilprojekt “Smartphones in der frühen Kindheit“ (Leitung: Jutta Wiesemann). Promoviert hat sie in Kontexten der Visuellen Anthropologie und der Soziologie wissenschaftlichen Wissens mit einer Arbeit über “Die vier Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise”.
Als Begründerin der “Kamera-Ethnographie”, freie Forscherin und Filmemacherin hat sie zahlreiche Videostudien zum Lernen, Spielen, Forschen und Arbeiten produziert und publiziert, sowie methodoogische Texte zur Kamera-Ethnographie (siehe http://www.kamera-ethnographie.de).
Aktuell: Mohn, Bina Elisabeth 2013: Differenzen zeigender Ethnographie. Blickschneisen und Schnittstellen der Kamera-Ethnographie. In: B. Schnettler und A. Baer (Hg.): Themenheft Visuelle Soziologie, Soziale Welt 1-2 2013, Nomos, 171-189.
Teilhabe an einem anderen Alltag. Ein fremdes Zuhause als touristische Attraktion
Luise Stoltenberg (Hamburg)
In klassischen Definitionen wurde Tourismus stets von der Sphäre des Alltags abgegrenzt, er stand in Kontrast zu Routine, Eintönigkeit und Normalität, da er stattdessen die Suche nach dem Außeralltäglichen verkörperte (vgl. McCabe 2002). Doch im Zuge des technischen Fortschritts und der Entwicklung des Web 2.0 lösen sich diese ursprünglichen Grenzziehungen auf (vgl. Larsen 2008). So ist es durch internetfähige, mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets auf Reisen möglich geworden, die Verbindung zum heimischen Alltag problemlos aufrechtzuerhalten (vgl. N. R. White und P. B. White 2007). Für die Daheimgebliebenen kann dies gleichzeitig eine Inklusion des Exotischen in den eigenen Alltag bedeuten, wenn beispielsweise Fotos, Reiseberichte oder Videoaufnahmen online geteilt werden. Auch die Rezeption allgemein verfügbarer digitaler Repräsentationen von Urlaubsorten auf Blogs oder touristischen Webseiten ist eine solche Inklusion. Infolge dieser Verschränkung von Tourismus und Alltag etablieren sich neue Formen und Arten des (Ver)Reisens. Ein Resultat dieser Ausdifferenzierung ist derTourismus 2.0, der maßgeblich durch Plattformen wie Airbnb und BeWelcome geprägt wird.
[…] Mithilfe von teilnehmenden Beobachtungen sowie leitfadengestützten Interviews mit Hosts und Gästen untersuche ich in meiner Dissertation diejenigen Momente, die den fremden Alltag, das Zuhause eines Hosts, zum touristischen Erlebnis werden lassen. In der vorhandenen Tourismusforschung findet das Zuhause als touristische Attraktion trotz der steigenden Popularität von Airbnb und BeWelcome bislang keine detaillierte Beachtung. Vor diesem Hintergrund wird eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Kontrollmechanismen (z.B. Bewertungssyteme) der Teilhabe an einem fremden Alltag umso notwendiger. Da das Zuhause als Kondensat des Alltagslebens im Mittelpunkt meiner Arbeit steht, interessiert mich vor allem, welche immateriellen und materiellen Infrastrukturen und welche Praktiken die Faszination für ein fremdes Zuhause auslösen und vermitteln. Die Analyse von Formen des Affektmanagements von Host und Gast erfordert zudem insbesondere die Berücksichtigung finanzieller Aspekte, da die Teilhabe an einem fremden Alltag monetär (Airbnb) oder unentgeltlich (BeWelcome) zugänglich gemacht wird.
Luise Stoltenberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, wo sie im DFG-geförderten Projekt „Tourismus 2.0 – Zwischen medialer Vermittlung und digitaler Entnetzung“ den Einfluss digitaler Medien auf den Tourismus erforscht. In ihrer Dissertation widmet sie sich insbesondere den beiden online Plattformen Airbnb und BeWelcome, da diese den Alltag und das Zuhause eines Fremden zum wesentlichen Element der Urlaubserfahrung erklären.
Luise Stoltenberg hat in Jena Soziologie und Philosophie studiert und ist anschließend für das Soziologie-Masterstudium an die Universität Hamburg gekommen.
Reziproke Bewertungen als Infrastruktur des Tourismus 2.0
Thomas Frisch (Hamburg)
Als Teilprojekt der DFG-geförderten Forschergruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“ widmet sich „Tourismus 2.0- Zwischen medialer Vermittlung und digitaler Entnetzung“ dem Einfluss digitaler Medien auf den klassischen Tourismus. Im Fokus stehen touristische P2P-Plattformen, die hybride Erfahrungsräume hervorbringen, die nicht auf die klassische on-/offline-Unterscheidung reduziert werden können und dadurch besonders geeignet sind, Prozesse der medialen Teilhabe zu untersuchen. Aufgrund ihres Potentials, den Zugang zu diesen Erfahrungsräumen aktiv zu ermöglichen oder zu verhindern, können diese Plattformen und ihre einzelnen Komponenten als mediale Aktanten (vgl. Schüttpelz 2013) begriffen werden. Im Zuge dessen wird die Frage nach den Bedingungen von Partizipation sowie nach den Möglichkeiten der Kontrolle dieser zu einem zentralen Forschungsgegenstand des Projektes.
Eine Komponente, die das Entstehen von Situationen der Teilhabe maßgeblich strukturiert, sind die gegenseitigen Bewertungen der User*innen, ein integraler Bestandteil der meisten Plattformen. In den letzten Jahren lässt sich auch ein steigendes sozialwissenschaftliches Interesse an Bewertungen als allgegenwärtiges soziales Phänomen erkennen, das sich an dem Etablieren neuer Journals, z.B. Valuation Studies, der Häufung akademischer Veranstaltungen wie Tagungen oder Workshops (Frisch 2016) und der Zunahme einschlägiger Literatur zeigt (vgl. u.a. Cefaï/Endreß/Zimmermann 2015, Vatin 2013, Karpik 2010, Lamont 2012, Boltanski/Thévenot 2007, Espeland/Sauder 2007, Bowker/Leigh Star 1999).
Angesichts der Relevanz medialer Bewertungspraktiken, die sie sich anhand von Bewertungsportalen wie TripAdvisor und Yelp, der Personenbewertungs-App Peeple oder eben der integrierten Bewertungstools bei touristischen P2P-Plattformen beobachten lässt, ist es verwunderlich, dass Medien und Technologien dabei kaum Berücksichtigung finden. Im Rahmen des Projekts “Tourismus 2.0- Zwischen medialer Vermittlung und digitaler Entnetzung“ und meines Dissertationsvorhabens wird über die Analyse der spezifischen Bewertungssysteme sowie deren zugrunde liegenden Technologien und der Bewertungspraktiken der User*innen ein Beitrag dazu geleistet, diese Lücke zu schließen.
Thomas Frisch erforscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt “Tourismus 2.0- Zwischen medialer Vermittlung und digitaler Entnetzung” die medialen Bewertungspraktiken des Tourismus. Sein Studium der Soziologie absolvierte er an der Universität Salzburg sowie an der Universidade Federal do Rio de Janeiro. In seiner Magisterarbeit mit dem Titel: “Die Favela Carioca: vom Sozialen Problem zum Ort der authentischen touristischen Erfahrung?” beschäftigt er sich mit der Analyse des Favela- Tourismus in Rio de Janeiro. Zu seinen Forschungsinteressen zählen u.a. Tourismus- und Mediensoziologie, Soziologie des Bewertens, Slum Tourismus und Urban Studies.
Partizipatives Privacy by Design – Potenziale und Herausforderungen einer Möglichkeit demokratischer Technikgestaltung
Markus Uhlmann (Kassel)
Dass Privatheit als ein wesentlicher gesellschaftlicher Ordnungsmechanismus der Moderne seit längerem erheblich unter Druck geraten ist, kann spätestens seit den sogenannten „Snowden-Enthüllungen“ und dem damit einhergehenden Bewusstsein flächendeckender Internetüberwachung kaum bestritten werden. Besonders deutlich wird der umstrittene Charakter des Issues (Marres 2007) Privatheit, wenn die unterschiedlichen Perspektiven auf Privatheit in den Blick genommen werden, die etwa von Geheimdiensten, diversen Internetdiensten oder auch sogenannten Nutzer*innen digitaler Infrastrukturenzugrunde gelegt werden. Auseinandersetzungen um die normativen Vorstellungen von Privatheit weisen dabei nicht nur eine bestimmte demokratische Qualität auf, sondern sind auch höchst folgenreich für die Gestaltung sozio-technischer Infrastrukturen. Dass normative Vorstellungen von Privatheit stets Eingang in die Technikgestaltung finden, wird etwa im Rahmen der Softwareentwicklungsstrategie des Privacy by Design zum Ausdruck gebracht. Damit ist unter anderem die Idee verbunden, dass Datenschutzprinzipien von vornherein im Systementwicklungsprozess Berücksichtigung finden sollen (Pohle 2015: 41). […] Anhand von Online Social Network Sites (OSNs) lassen sich damit nicht nur wesentliche Herausforderungen der Privatheit in der digitalen Welt diskutieren, sondern auch Herausforderungen in den Blick nehmen, die mit partizipativer Technikgestaltung einhergehen. Vor dem Hintergrund dieser Problemkonstellationen stellt sich damit die Frage, wie das Konzept des Privacy by Design mit Überlegungen zur demokratischen Partizipation zusammengebracht werden kann und welche Potenziale und Herausforderungen für ein solchermaßen verstandenes Konzept des „Partizipativen Privacy by Design“im Rahmen von OSNs bestehen. […]
Markus Uhlmann, Jahrgang 1989, hat von 2010-2015 die Fächer Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel studiert. Seit Oktober 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel am Fachgebiet Soziologische Theorie. In seiner Promotion, die im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Privacy and Trust for Mobile Users“ erfolgt, setzt er sich mit sozio-technischen Dynamiken von Privatheit und Vertrauen im Kontext von Sozialen Online Netzwerken auseinander. Neben der Vertrauens- und Privatheitstheorie liegen seine weiteren Interessen und Arbeitsschwerpunkte insbesondere in den Feldern der Soziologischen Theorie und der Politischen Soziologie.
Pablo Abend, Judith Ackermann, Michael Liegl, Beate Ochsner und Robert Stock
Pablo Abend, ab Oktober 2016 wissenschaftlicher Koordinator des Graduiertenkollegs »Locating Media« der Universität Siegen. Von 2014 bis 2016 wiss. Mitarbeiter im DFG-Projekt »Modding und Editor-Games. Partizipative Praktiken mediatisierter Welten« im Schwerpunktprogramm 1505. Davor Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln. 2012 Promotion (Dr. phil.) an der Universität Siegen. Von 2008 bis 2012 Stipendiat der Graduiertenschule »Locating Media/Situierte Medien« mit einem Dissertationsprojekt zur Geschichte und Gegenwart des Umgangs mit digitalen, kartographischen Medien. Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Orts- und situationsbezogene Medienforschung, Partizipative Praktiken des Computerspiels, Science and Technology Studies. Mitherausgeber des Journals Digital Culture & Society http://digicults.org/.
Impulsreferat zu Licoppe, Christian: Recognizing mutual ‘proximity’ at a distance.
Michael Liegl und Martin Stempfhuber (Hamburg)
Impulsreferat zu Licoppe, Christian: Recognizing mutual ‘proximity’ at a distance: Weaving together mobility, sociality and technology. Journal of Pragmatics 41.10 (2009): 1924-1937.
Mittel und Mittler der Teilhabe. Teilhaben als medial und technisch vermittelte sozialisatorische Praxis
Andreas Henze (Siegen)
Nach einem Schlaganfall und halbseitiger Lähmung mit einer speziellen Ausrüstung fotografieren; im Schulunterricht sich per Sprachcomputer melden oder mit diesem Emails schreiben; der Assistenzkraft per Baumarkt-App ansagen, in welchem Gang sich die gewünschten Utensilien befinden; mit Hilfe von Navigationsapp und Blindenhund, den Eingang zum Supermarkt finden; mit technischen Hilfsmitteln Büroarbeit erledigen oder mit einer spastischen Lähmung alleine ein Segelboot steuern – Teilhabe ist für Menschen mit einer körperlichen Behinderung eine alltäglich vollzogene Leistung, die durch die Verknüpfung einer Vielzahl von Akteuren, Körpern, technischen Objekten und sozialen Medien zustande kommt. Mit einer praxis- und sozialisationstheoretischen Perspektive auf “Situationen der Teilhabe” möchte ich in meinem Beitrag Vollzugsprozesse des Teilhabens und deren technisch-mediale Bedingungen mittels qualitativ-empirischem Materials rekonstruieren. Die Frage wie Teilhabe an sozialen Praktiken entsteht und welche Bestandteile sozialer Praktiken dazu beitragen, liegt meinen Beitrag zu Grunde. Da die Erfahrungswelt von Menschen mit körperlichen Behinderungen vom Medien- und Technikgebrauch beeinflusst und strukturiert ist, gehe ich davon aus, dass Medien und Technik sich im situativen Gebrauch aber auch situationsübergreifend als konstitutiv für Praktiken des Teilhabens erweisen. Der Fokus auf Medien und technische Objekte kann zeigen, dass deren Nutzung relevanten Anteil an alltäglichen Praktiken mit einer körperlichen Behinderungen hat und die Generierung und Realisierung aber auch eigensinnige Ablehnung und Kritik von Teilhabemöglichkeiten ermöglicht. Auf der Grundlage meiner Promotionsforschung zum Alltag von Menschen mit spastischen Lähmungen sowie mit blinden Menschen, möchte ich mit Hilfe von ethnographischem und narrativem Material meine konzeptionellen Überlegungen zum Thema Teilhabe diskutieren. Mein Material setzt sich zusammen aus der Forschung mit Menschen mit verschiedenen Arten von körperlichen Lähmungen, von Praktiken der ”Unterstützten Kommunikation” mit Sprachcomputern in der Schule, Arbeit und Freizeit sowie von Selbsthilfegruppen für blinde Menschen, die sich mit Computertechnik und Smartphoneapplikationen praktisch auseinandersetzen, und deren medial und technisch gestützten Navigationspraktiken.
Andreas Henze, M.A., seit November 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg „Locating Media“ der Universität Siegen mit einer Promotionsforschung zu Medienpraktiken von Menschen mit Behinderungen. 2009-2012: Studium der Sozialwissenschaften und Philosophie mit dem Kernfach Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig; 2013-2015: Studium der Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt/M.
Die Affektualität digitaler Kopräsenz – Rumstreunern mit Grindr
Michael Liegl und Martin Stempfhuber (Hamburg)
Smartphone-Dating-Apps wie etwa „Grindr“ erlauben es ihren Nutzern mit Hilfe von Geolokationstechnologie die räumliche Umgebung nach – in unserem Fall – „gleichgesinnten“ Männern zu durchsuchen und ermöglichen das Ereignen situiert-digitaler (und damit folgenschwerer) Bewegungen und Begegnungen. In teilnehmender Beobachtung verfolgen wir situierte (technologische) Innovationen von Konzepten und Praktiken der „Nähe“, der „Begegnung“ und des „Intimen“ bei der Grindr Nutzung. Unsere Feldstudie zeigt, wie mit Grindr (Im)Mobilitäten hergestellt werden – (Im)Mobilitäten der Nutzer, der technischen Geräte, der Orte, der Landschaften und der Kategorien. Die spezifische Blickrichtung unserer teilnehmenden Beobachtung ist von einer Revision einer etwas in die Jahre gekommenen These geleitet, die das Internet als einen Raum der Entkörperung gefasst hat. Wir fokussieren explizit das materielle Geschehen auf dem Display und die damit verbundenen Prozesse der imaginären Verdopplung, des beschleunigten Feedbacks, digitaler Aufzeichnungen und Ereignisverstärkungen. Aus dieser Perspektive erscheint die von Grindr geschaffene Situation als technologisch-körperliche Assemblage (die Mensch-Maschine). Mit Marie-Louise Angerer vermuten wir, dass das Auftauchen eines Dispositivs des Affekts in dieser Situation mit den Effekten von digitalen Technologien auf der einen und körperlich-bewegter „Sexualität“ auf der andere Seite in Verbindung zu bringen ist. Die technisch ergänzte Sinnlichkeit verlangt nach einem nicht- bzw. post-humanistischen Vokabular der Affekte (im Gegensatz zu: Gefühlen, Sinn, Bewusstsein).
Abschließend wollen wir aber auch die möglicherweise problematischen methodischen / politischen / theorietechnischen Konsequenzen dieses Vokabulars zu Diskussion stellen.
Dr. phil. Martin Stempfhuber, 1997-2003 Studium der Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der University of Wisconsin, Madison. 2009 Promotion zum Dr. phil. an der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 2014 Gastprofessor an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg.
Dr. phil. Michael Liegl, 1994-2001 Studium der Philosophie und Soziologie an der Philipps-Universität Marburg und der City University of New York, NY 1999. 2008 Promotion zum Dr. phil. an der Johannes Gutenberg Universität Mainz, seit 2014 Post-Doc Researcher und Koordinator des Graduiertenkollegs „Lose Verbindungen“ an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg.
Sofakartoffeln – Verortung und Verfertigung von FernsehzuschauerInnen
Anne Ganzert (Konstanz)
Während (zu) lange von FernsehzuschauerInnen als passive Masse die Rede war, die sich vermeintlich von den kopf- und sinnlosen Inhalten berieseln ließen, haben die letzten Jahre eine Vielfalt an Begriffen und Konzepten gebracht. Sowohl die internationale Fernsehindustrie, die ZuschauerInnen selbst und die Forschung haben das (selbst-)Verständnis der Beziehung zwischen kulturellem Produkt und dessen RezipientInnen hinterfragt und tun dies noch.
So ist in den Fanstudies von “fan-finction” (z.B. Markman 2005) und “free labour” (z.B. Mittell 2013) zu lesen, in den TV Studies von “viewsern” (Harries 2002) und “engagement TV” (Askwith 2007) und in den Kulturwissenschaften ist auch in Bezug auf Fernseh(serien) von Partizipation (García-Avilés 2012) und Immersion (Gwenllian-Jones 2002) die Rede. In meinem Beitrag soll – zunächst ergebnisoffen – reflektiert werden, welche Perspektiven auf die Verortung und Verfertigung von FernsehzuschauerInnen möglich und/oder nötig sind, um die Wechselseitigkeit der Prozesse der zeitgenössischen Fernsehrezeption fassbar und beschreibbar zu machen.
So ist schon allein die Differenzierung von viewer/audience/fan/consumer etc. produktiv zu hinterfragen, noch bevor eine theoretische Reflektion mit Hilfe von konkreten Fallstudien (Apps, Portale, Games etc.) möglich ist. Dabei werden sowohl diverse Texte und Konzepte zu Wort kommen als auch Bespiele von Serien und deren paratextuelen Erweiterungen und angrenzenden Elementen als Diskussionsbasis herangezogen werden.
Anne Ganzert, ist Promovierende und Dozentin im Bereich „Medienwissenschaften“ an der Universität Konstanz. Außerdem ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ‚Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme’ bzw. im Teilprojekt ‚Smartphone Gemeinschaften’ bei Prof. Dr. Isabell Otto. Ihre Dissertation befasst sich mit zeitgenössischen US-amerikanischen Fernsehserien und deren Pinnwänden. Sie wird betreut von Beate Ochsner (Konstanz) und Jennifer Gillan (Boston). Weitere Forschungsinteressen sind Fan Studies, Partizipationstheorie, Transmedia Storytelling und Visual Culture Studies.
Medial-affektive Klangökologien und Hörpraktiken in/um NEL GIARDINO DEI SUONI (2009)
Robert Stock (Konstanz)
In drei Schritten setzt sich die Präsentation mit der filmischen Produktion von Klangökologien und Hörpraktiken auseinander, wobei der Film NEL GIARDINO DEI SUONI (2009) herangezogen wird: Zunächst wird die audiovisuelle Übersetzung von Hör- und Aufnahmepraktiken des Musiktherapeuten Wolfgang Fasser untersucht. Der Protagonist des Films wird wiederholt bei Kunstkopfstereophonie-Aufnahmen gezeigt, die er im Rahmen seiner therapeutischen Arbeit mit Menschen mit Behinderungen einsetzt. Im zweiten Schritt wird die filmische Inszenierung des ‚Labors für musikalische Improvisation‘, die Praxis Fassers, als Resonanzraum für Hören-Fühlen analysiert. Schließlich geht es darum zu reflektieren, wie der Einsatz von digitalen Surround Sound Technologien zur Formierung eines ‚hörenden‘ Zuschauers beiträgt.
Robert Stock ist Koordinator der DFG-Forschergruppe »Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme« an der Universität Konstanz. Seine Forschungsinteressen sind die Medialität von Teilhabeprozessen, Kulturtechniken und mediale Praktiken des Hörens und Sehens, die filmische Produktion von Behinderung sowie postkoloniale Erinnerungspolitiken. Zusammen mit Mathias Denecke/Anne Ganzert/Isabell Otto hat er den Band ReClaiming Participation. Technology – Mediation – Collectivity, Bielefeld 2016 herausgegeben. Zu seinen Veröffentlichungen zählen »Körper im/als Schaltkreis. DIY-Apparaturen und audiovisuelle Praktiken sinnlicher Wahrnehmung.« In: Adam, Marie-Hélène/Gellai, Szilvia/Knifka, Julia (Hg.): Technisierte Lebenswelt. Über den Prozess der Figuration von Mensch und Technik. Bielefeld, im Erscheinen sowie »Singing altogether now. Unsettling images of disability and experimental lmic practices«, in: Catalin Brylla/Helen Hughes (Hg.): Documentary and Disability, London: Routledge, im Erscheinen.
Was ist deutsch-türkisches Kino? Genre, Aneignung und Gemeinschaftsgefühl
Hauke Lehmann (Berlin)
Zur Beschreibung eines bestimmten Korpus von Filmen, TV-Serien und Internet-Videos, der vor allem seit Mitte der 1990er Jahre an Kontur gewinnt, hat sich im populären Diskurs wie in der medien- und kulturwissenschaftlichen Forschung der Begriff des „deutsch-türkischen Kinos“ etabliert, ohne dass schlüssig geklärt wäre, wie sich dieser Korpus als ein Zusammenhang konstituiert. Was ist nun die Gemeinsamkeit, die es erlaubt, die diversen medialen Formate unter einem Schlagwort zusammenzufassen?
Auf einer ersten Ebene ist meine Untersuchung als Klärung dieser Frage angelegt. Die übliche Antwort der Forschung besteht in der Hypothese, die Filme des deutsch-türkischen Kinos erzählten etwas über deutsch-türkische Lebenswirklichkeit, sie bildeten diese ab, spiegelten sie oder kommentierten sie zumindest, kurz: sie verhandelten unmittelbar auf der Darstellungsebene Fragen des alltäglichen Zusammenlebens ihrer Zuschauer. Medientheoretisch ist diese Antwort nicht haltbar. Sie widerspricht sowohl Ansätzen zu Fragen der Teilhabe an einer gemeinschaftlichen Welt (Ekström u.a. 2011) als auch der aktuellen philosophischen Diskussion um den Begriff der Gemeinschaft (Rancière 2006, Nancy 2004). Doch wie lassen sich die in Rede stehenden Film-, TV- und Video-Produktionen auf die Debatten zu Migration und Gemeinschaftsbildung beziehen? Wie lassen sich die audiovisuellen Bildinszenierungen selbst als Diskurs über und Teilhabe an Gemeinschaft analysieren, wenn man sie nicht als Repräsentationen, sondern – dem aktuellen Stand der Medientheorie folgend – als technische und ästhetische Gestaltung basaler Wahrnehmungsformen begreifen möchte? Meine These lautet, dass die diversen, unter dem Label „deutsch-türkisch“ zusammengefassten Medienformate als lokale, je spezifische Aneignungen von Affektpoetiken global zirkulierender Bildinszenierungen westlicher Unterhaltungskultur verstanden werden können. […] In meinem Vortrag möchte ich diese systematischen Überlegungen an der Analyse eines konkreten Beispiels entfalten. Auf der einen Seite ist diesbezüglich die Art und Weise zu klären, wie ein einzelner Film, Yasemin Şamderelis ALMAN- YA –WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND (2011), den Zuschauer affektiv adressiert und einbezieht. […]
Hauke Lehmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sfb Affective Societies an der Freien Universität Berlin, im Teilprojekt: »Migrantenmelodramen und Einwanderungskomödien. Medienformate deutsch-türkischer Gemeinschaftsgefühle«. Er hat Filmwissenschaft in Berlin und Prag studiert. Seine Dissertation Affektpoetiken des New Hollywood. Suspense, Paranoia und Melancholie (im Erscheinen) entwirft das Projekt einer Filmgeschichte des Fühlens auf Grundlage spezifischer Modi von Affektivität. Jüngste Publikation: »Was die Welt zusammenhält. Figurationen des Sozialen in Fernando Meirelles BLINDNESS«, in: Alexandra Tacke (Hg.): Blind Spots. Eine Filmgeschichte der Blindheit vom frühen Stumm lm bis in die Gegenwart, transcript: Bielefeld 2016, S. 233-250.