Über die Forschungsgruppe

Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme

Die DFG-Forschungsgruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“ hat ihren Hauptsitz an der Universität Konstanz. Zu den beteiligten Universitäten gehören die Leuphana Universität Lüneburg, die Universität Hamburg und die Zürcher Hochschule der Künste. Sprecherin der Forschungsgruppe ist Prof. Dr. Beate Ochsner.

Mit dem Konzept medialer Teilhabe problematisiert die Forschungsgruppe einen klassischen binären Zugangs- und Inklusionsbegriff, um auf diese Weise die Komplexität und Vielschichtigkeit dieser Logiken in Bezug auf ihre je spezifischen Zeitlichkeiten, Vernetzungsstrukturen und Vergemeinschaftungen in den Blick zu nehmen. Die bereits in der ersten Förderphase geleistete Forschungsarbeit wird in der Fortsetzung stärker kontextualisiert und in konkreten historischen, machtpolitischen, infrastrukturellen und transkulturellen Dimensionen ausdifferenziert: „Forschungsleitend ist nach wie vor die Überzeugung, mediale Teilhabe als zentrales Problem unserer digitalen Gegenwartskultur über die Untersuchungen individualistischen oder kollektiven Mediengebrauchs hinausgehend in ihrer komplexen Prozessualität und Vielfältigkeit theoretisch fassbar machen zu können“, so Prof. Dr. Beate Ochsner.

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt arbeitet interdisziplinär: In medienhistorischen, ethnologischen, ästhetischen, soziologischen sowie kunstwissenschaftlichen Perspektiven gliedert sich das Vorhaben in fünf Teilprojekte, die an unterschiedlichen Standorten durchgeführt werden.

Informationen zu den Teilprojekten

Grundlage der Theorie medialer Teilhabe bildet eine prozessuale Medialität, die die relationalen Assemblagen und heterogenen Konfigurationen von Teilhabe ermöglicht oder verhindert. Teilhabe wird somit durch die genauer zu bestimmenden medialen Ereignisse und die ihnen ko-konstitutiven Relationen beschreibbar. Die in der Fortsetzung stärker zu profilierende historische und politische Dimension im Rahmen einer Auslotung der Alternativen der Moderne ermöglicht nicht nur eine kritische Bearbeitung des Begriffs der Relation in der relationalen Anthropologie, sondern erlaubt auch eine bestimmte Theoretisierung medialer Teilhabe, in der prekäre Subjektivierungen und ihre soziokulturellen, politischen und ökonomischen Umweltlichkeiten als wechselseitig verfertigte denkbar werden. Ausgehend von den Ergebnissen der ersten Phase konnten theoretische Problemlagen identifiziert werden, die erneut auf der Ebene von Fallstudien, vor allem aber theoretisch adressiert werden. In den Teilprojektstudien wird der radikal ontologische Gemeinschaftsbegriff Nancys in soziopolitischen, technoökologischen und ökonomischen Diskursen des Gemeinsamen weiterentwickelt. Damit wird der Aspekt der Praktiken und insbesondere der prozessualen Verfertigung gestärkt, gleichzeitig adressieren wir aktuelle Diskurse um die problematischen Verflechtungen zwischen kapitalistischer Ökonomie und Ökologie, wie sie in Diskussionen über Gemeinschaften und Kollektive an Bedeutung gewonnen haben.

Vor dem Hintergrund der ersten Phase wird eine medientheoretische Bestimmung von Teilhabeprozessen über die forschungsleitenden Modalitäten des Verschaltens (TP 1, 2, 3), des Temporalisierens (TP 3, 4) und des Kritisierens (1, 5) spezifiziert. Diese begreifen sich als systematische Weiterentwicklung des Mit-, Ver- und Widersprechens der ersten Phase. Mit der Identifikation dieser Modalitäten erweitern wir die Perspektive auf nonverbale, wie z.B. sensorisch-affektive Verschaltungen. Versprechen adressieren wir nicht mehr als Utopie, sondern untersuchen immanente Temporalitäten der Prozesse selbst. Widersprechen wird auf spezifische Formen teilhabenden Kritisierens hin ausgestaltet, die der Relationalität der entstehenden Machtgefüge Rechnung tragen. Die Analyse unterschiedlicher medialer Assemblagen in den Teilprojekten liefert Erkenntnisse über die soziotechnischen Verschaltungen, die in ihren spezifischen Temporalitäten neue Formen teilhabender Kritik für die Theorie medialer Teilhabe hervorbringen. Die Arbeiten in den Teilprojekten basieren allesamt auf einem prozessualen Medienbegriff und einer methodischen Herangehensweise, die diskurshistorische und -analytische mit sozialwissenschaftlichen Zugängen kombiniert. Dabei wird in den Teilprojekten auf Texte, Bilder, Interviews und Daten zurückgegriffen, die in einer erweiterten Diskursanalyse ebenso fruchtbar gemacht werden (TP 1, 2, 5), wie die Analyse von Praktiken, die durch digitale Prozesse sichtbar werden (TP 3, 4).

Mit dem leitenden theoretischen Begriff ‚mediale Teilhabe’ geht die Forschungsgruppe davon aus, dass Partizipation in medienkulturellen Austauschprozessen zu bestimmen ist. Diese Neuperspektivierung basiert auf einem prozessualen Medienbegriff, der die Relationen zwischen Anspruch und Inanspruchnahme im Gefüge von Subjekten, technischen Objekten, Praxen und Gemeinschaften beschreibbar macht. Das interdisziplinär ausgerichtete Gesamtprojekt setzt sich aus medienhistorischen, -ethnologischen, -ästhetischen, -soziologischen und -philosophischen sowie kunst- und literatur­wissenschaftlichen Einzelstudien zusammen und antwortet auf das Desiderat, den Zusammenhang von Medien und Teilhabe in seiner soziopolitischen und kulturellen Tragweite zu erfassen und derzeitig vorwiegend anwendungsorientierte Ansätze durch eine medientheoretische Bestimmung von Teilhabe zu erweitern.

Die Untersuchungen der Forschungsgruppe zielen auf historisch wie auch kulturell unterschiedliche Konstellationen (tele-)technologischen Teilhabens, in denen sich die Bedingungen der In- oder Exklusion wandeln und spezifische Herausforderungen für Teilhabende und (noch) nicht Teilhabende hergestellt werden. Diese Konstellationen werden als soziotechnische Machtgefüge untersucht, in denen menschliche und nicht-menschliche Akteure wechselseitig hervorgebracht werden. Die Forschungsgruppe fokussiert in ihren Analysen somit die wechselseitige Bezogenheit der zentralen Parameter ‚mediale Konstellation‘ und ‚Gemeinschaftsbildung‘ und nimmt ‚mediale Teilhabe‘ als bestimmungsoffenen und unabgeschlossenen Prozess in den Blick. Sie geht davon aus, dass die Aufforderung, an einer Gemeinschaft teilzuhaben, stets mit einem Ansprechen von Subjekten verbunden ist, das sich aus der hohen Attraktivität von Partizipationsangeboten speist und zugleich mit Zumutungen für die Angesprochenen verbunden ist.

Die sich hieraus ergebenden Forschungsfragen ordnen sich drei Modalitäten zu, auf die in den Untersuchungen der Teilprojekte mit unterschiedlicher Gewichtung und einer Verschränkung von diskursanalytischen sowie praxeologischen Methoden Bezug genommen wird: Unter dem Begriff ‚Mitsprechen‘ untersucht die Forschungsgruppe die gemeinschaftsstiftenden oder -verhindernden Operationen des Mit-Teilens. Als ‚Versprechen‘ werden politische Imaginationen und Utopien der Teilhabe in den Blick genommen. Die Untersuchungen zur Modalität des ‚Widersprechens‘ konzentrieren sich auf Störungen von Teilhabeprozessen, die in den medialen Konstellationen selbst zu verorten sind.

Der Mehrwert einer aus der Zusammenarbeit der Teilprojekte resultierenden medientheoretischen Bestimmung des Teilhabebegriffs und der Kehrseiten einer medialen Teilhabe liegt in der Beantwortung drängender und aktueller gesellschaftlicher Fragen, die künftigen wissenschaftlichen Analysen und politischen Fördermaßnahmen partizipatorischer Kulturen eine differenzierte medienkulturwissenschaftliche Grundlage bietet.

Teilen mit: