Projektleiter: Prof. Dr. Urs Stäheli (Universität Hamburg)
Mitarbeiter: Mathias Denecke, Matthias Drusell
Studentischer Mitarbeiter: Jan Hildebrandt
Veröffentlichungen des Projekts
Zusammenfassung
Unser Projekt untersucht, welche Formen der Zeitlichkeit durch On-Demand-Streamingtechnologien und -praktiken etabliert werden (z.B. Spotify, Netflix, Last.fm). Mit medialem Streaming wird häufig die als kontinuierlich erscheinende, in ‚Echtzeit‘ ablaufende Verbreitung vor allem von komprimierten Video- und Audiodateien durch digitale Netzwerke bezeichnet. Anknüpfend an unsere Vorarbeiten zur Analyse von Sharing-Plattformen im Tourismus untersucht dieses Projekt nun, wie Streaming-Plattformen den Zugang zu medialen Produkten und Gemeinschaften zeitlich konfigurieren. Entgegen der Selbst-beschreibung von Streaming als ‚Echtzeit-Technologie’, die Teilhabe an einem kontinuierlichen Datenstrom ermögliche, möchten wir die heterogenen Zeitlichkeiten, deren Brüche und deren Synchronisierung herausarbeiten. Eine solche Analyse muss sowohl die in Medientechnologien eingeschriebenen Zeitmodelle und affordances wie auch die Zeiterfahrung der NutzerInnen erfassen.
Unsere Eingangshypothese, dass mit dem Streaming neue, teils prekäre Formen temporalisierter Teilhabe entstehen, möchten wir an Hand von theoriegeleiteten Fallstudien in drei AB überprüfen. Auf diese Weise wird nicht nur eine Fallstudie zum Streaming erstellt, sondern eine enge Verzahnung von Fallanalyse und Theoriebildung angestrebt.
AB1, „Die Zeitlichkeiten medialer Infrastrukturen“ analysiert am Beispiel von Buffering-Technologien und -erfahrungen, welche Zeitregimes des Wartens und der Unterbrechung in die Übertragungs- und Speichertechniken von Streaming-Infrastrukturen eingeschrieben werden. AB2, „Die Zeitlichkeiten der Selektion: Empfehlungssysteme“ untersucht, welche Formen der Temporalisierung in algorithmische Empfehlungssysteme eingeschrieben sind. Dies reicht von der zeitlichen Modellierung der NutzerInnen bis hin zur zeitlichen Normalisierung des Hörens. AB3, „Die Zeitlichkeiten des Alltags: Die Erfahrung von Empfehlungen” erforscht das enactment von algorithmischen Empfehlungen, indem z.B. Alltagstheorien der NutzerInnen über die Funktionsweise von Algorithmen wie auch deren alltägliche Praktiken im Umgang mit Empfehlungen untersucht werden. Indem das Projekt systematisch, infrastrukturelle Aspekte der Generierung von Zeit mit der Erfahrung von Zeit verschränkt, leistet das Projekt einen zentralen Beitrag zur Zeitlichkeit von medialen Teilhabeprozessen.
Mitarbeiter*innen: Luise Stoltenberg, Thomas Frisch
Zusammenfassung
„Tourismus 2.0 – Zwischen medialer Vermittlung und digitaler Entnetzung“ widmet sich dem Einfluss von digitalen Medien auf den klassischen Tourismus. Die Tourismusbranche gehört weltweit zu den größten und wachstumsstärksten Wirtschaftszweigen (vgl. UNWTO 2014) und nimmt eine zentrale, aber wissenschaftlich vernachlässigte Rolle für gegenwärtige Medien- und Konsumkulturen ein. Medientheoretisch ist der Tourismus von besonderem Interesse, weil hier die Herausbildung hybrider Erfahrungsräume beobachtet werden kann, die sich nicht auf die klassische on-/offline-Unterscheidung reduzieren lassen. Die Nutzung digitaler Medien hat die touristische Erfahrung grundlegend verändert, indem klassische Dichotomien wie Alltag/ Außeralltag und inauthentisch/authentisch destabilisiert worden sind. Dies bedeutet aber nicht, so unsere These, dass Authentizitätssehnsüchte hinfällig geworden sind, sondern dass zu untersuchen ist, wie im Tourismus 2.0 „Authentizität“ auf möglicherweise neue Art produziert wird. Wir vermuten, dass Authentizität zunehmend als temporäre und alltägliche Gemeinschaftserfahrung gefasst wird.
Dieser Frage gehen wir in drei Arbeitsbereichen nach: a) im durch P2P-Netzwerke (z.B. Couchsurfing) organisierten Tourismus, der Authentizität als gemeinschaftliche Teilhabe an einem fremden Alltags verspricht; b) am Beispiel von Bewertungspraktiken des Tourismus 2.0 interessieren wir uns für die immaterielle und affektive Arbeit (die Produktion eines Bewertungsbegehrens), die mit den P2P-Plattformen einhergeht sowie für die Genese von Kontrolltechniken und -wissen; c) im „digital detox“- Tourismus, der durch einen zeitweiligen Medienverzicht das Widersprechen gegen die Zumutungen der medialen Teilhabe zu seinem Organisationsprinzip macht. Trotz der unterschiedlichen Rolle von Medien für diese Tourismusformen (Arbeitsbereich a und c) sind beide, so unsere These, von einer zu untersuchenden Spannung geprägt: Ein unvermitteltes, häufig als authentisch imaginiertes Alltags- und Gemeinschaftserlebnis soll durch mediale Praktiken der Teilhabe oder des bewussten Entzugs hergestellt werden.
Wir nutzen qualitative Fallstudien, bestehend aus einem Methodenmix aus Ethnografie, Netnografie, Diskursanalyse und Experteninterviews. Für alle drei Arbeitsbereiche ist entscheidend, dass wir Medien nicht nur unter dem Aspekt der Ermöglichung neuer touristischer Praktiken betrachten, sondern nach der Handlungsfähigkeit medialer Aktanten fragen: Wie werden digitale Medien selbst Teil der Gemeinschaften, die sie organisieren? Wie verändert sich die Konfiguration von „Authentizität“ und Gemeinschaft im Tourismus 2.0? Wie produzieren P2P- Netzwerke ein Begehren nach Bewertung? Wie wird das Begehren nach „Entnetzung“ mediatisiert, und welche Erfahrungsräume werden produziert? Über das Feld der Tourismusstudien hinausgehend, bieten diese Fallstudien die Möglichkeit, das alltägliche Operieren von „digitalen Dualismus“ wie on-/offline oder reell/virtuell zu untersuchen.