Projektleiter*innen:
Prof. Dr. Elke Bippus, Zürcher Hochschule der Künste, Institut für Theorie
Prof. Dr. Christoph Brunner, Leuphana Universität Lüneburg
Mitarbeiterinnen: Ruth Lang, Nate Wessalowski
Assoziierte Wissenschaftler*in: Iris Julia*n Gütler
Studentische Mitarbeiterin: Lara Holenweger
Veröffentlichungen des Projekts
Zusammenfassung
Das kunstwissenschaftlich-medienphilosophische Projekt rückt die Frage der teilhabenden Kritik ins Zentrum und untersucht diese entlang ihrer sinnlichen, technologischen und politischen Bedingungen, um die Ausdrucksmodalitäten einer solchen Kritik beschreibbar zu machen. Hierdurch werden gleichermaßen materielle, relationale und konstituierende Aspekte in den Fokus gerückt. Praktiken teilhabender Kritik werden als jene konstituierenden Bedingungen befragt, welche die Einteilungen, Grenzziehungen und Rahmungen von Systemen – etwa der Kunst, Soziokultur oder Politik – immanent prägen, differenzieren und konfrontieren prozessieren und herausfordern. TP 5 schließt an die praxeologische Untersuchung medialer Teilhabeprozesse in künstlerischen und aktivistischen Mikropraktiken der ersten Förderphase an, verschiebt jedoch die bis dahin anthropologisch gefasste Perspektive auf mehr als humane Existenzweisen hin. Die Untersuchung problematisiert und beleuchtet die Qualitäten und Möglichkeiten von Kritik als teilhabende im Horizont posthumaner Auffassungen künstlerisch-medialer und aktivistischer Widerstandspraktiken. In theoretischer Hinsicht wird Judith Butlers Konzeption von Performativität und Subjektivierung entscheidend. Sie dekonstruiert „das voluntaristische Subjekt des Humanismus“ und fragt nach dem Humanen im Posthumanen. In diesem Zusammenhang wird Handlungsmacht nicht an das souveräne Subjekt gebunden, sondern an die Affirmation von Verletzbarkeit als Grundlage emergenter Subjektivierungsweisen mit und durch ihre materiellen, mentalen und medialen Umwelten.
Das Projekt untersucht Dimensionen teilhabender Kritik in künstlerischen Wissenspraktiken sowie militanter (postkolonialer) Forschung (AB 2), in der spanischen Munizipalismusbewegung und ihren Technopolitiken sowie der medienwissenschaftlichen Genealogie von Technokollektiven (AB 3). Ziel ist es, die Verschränkungen ethisch-ästhetischer und ästhetisch-politischer Mikropraktiken in Kunst und Aktivismus herauszuarbeiten und Kritik als teilhabende Kritik und damit als (nicht-)sprachliche und mehr-als-humane materielle und mediale Form der Kritik auf den Prüfstand zu stellen, ohne die tradierten Kategorisierungen wie Kunst vs. Aktivismus zu reproduzieren (AB 1). Mit den Analysen von Fallbeispielen und seiner Begriffsarbeit an Formen einer teilhabenden Kritik fokussiert TP 5 die Relationalität ästhetisch-sinnlicher Praktiken, affektiver Dimensionen sowie materieller und infrastruktureller Anteile medialer Teilhabe. Hierdurch soll eine theoretische Neuperspektivierung des Verhältnisses von Kunst und Aktivismus sowie eine differenzierte Analyse technoökologisch avancierter Mikropraktiken und deren Kollektivitäten als zentraler Beitrag zu einer Theorie medialer Teilhabe ausgeführt werden.
Mitarbeiter: Sebastian Dieterich
Zusammenfassung
Das Projekt untersucht die wechselseitige Bezogenheit von ästhetischen Praktiken und Teilhabe, fasst Widersprechen als konstitutives Element von Teilhabe und versucht, Widerstand als performative pharmakologische Mikropraxis kenntlich zu machen. Der Begriff „Mikropraktiken“ ist angelehnt an Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Theorie von Mikro- und Makropolitik (Deleuze/Guattari 1997). Die Autoren bestimmen die Mikropolitik als eine Kritik am Modell der Repräsentation, welche in widerständiger Absicht unterhalb der großen, als molar bezeichneten Einheiten (Staat, Gesellschaft, Kirche, Schule, Kapital, Unternehmen etc.) mikroskopische Phänomene aufdeckt und gleichsam Bewegungen, Linien und Kräfte kartografiert.
Mit dem Begriff der Mikropraxis wird die von Deleuze und Guattari beschriebene Perspektive aufgegriffen und leicht verschoben. Die zentralen Untersuchungsfelder sind nicht Strukturen und gesellschaftliche Kontexte, sondern Praktiken. Mikropraktiken verdanken sich wie Praktiken keinem souveränen Subjekt, sondern entstehen „aus den Verflechtungszusammenhängen des Geschehens heraus, das durch kulturelle Konventionen zwar präfiguriert, historisch jedoch wandelbar und damit nicht determiniert ist.“ (Alkemeyer/Budde/Freist 2013: 21). Dementsprechend sind es Strategien des Widersprechens, der Abgrenzung, der Umkehrung oder Verschiebung, die Praktiken mikropraktisch wirksam werden lassen können, insofern sie den gleichsam eingeübten und als natürlich empfundenen Verlauf von Praktiken zerlegen, dehnen, aufbrechen oder übertreiben. Mikropraktiken sind in ihrer unhintergehbaren Verbundenheit mit zweckorientierten und normierten Praktiken grundlegend pharmakologisch. Das heißt sie sind formierend und de-formierend zugleich. Mit anderen Worten sie sind in doppelter Weise bestimmt: Sie können programmierend, disziplinierend oder normierend wirken, indem sie etwa Bezug nehmen auf das, „was zu tun ist“ sowie „auf das, was zu wissen ist“ (Foucault 2005: 28), sie können aber ebenso Normierungen widersprechen, indem sie die als natürlich empfundene und eingeübte Ausrichtung von Praktiken aufstören, umlenken und deren Potentiale öffnen. Die Ausbildung und Einübung mikropraktischer Prozesse verspricht, geltende Konventionen infrage zu stellen, die Determiniert- und Normiertheit von Praktiken selbstkritisch zu reflektieren und in Subjektivierungsprozessen widerständig wirksam zu werden.
Die Gegenstandsbereiche von Mikropraktiken. Formen des Widerstands und Engagements sind ästhetische, soziale und partizipative Verfahrensweisen der Kunst und der Soziokultur. Elke Bippus untersucht in ihrem Arbeitsbereich Mikropraktiken im Feld der Kunst und ihre ästhetischen Politiken eine Teilhabe, die sich im Widersprechen ausbildet und – so die Annahme – dergestalt eine geteilte bleibt. Das Widersprechen wird in Relation zu den Bedingungen des Kunstsystems reflektiert und als eines untersucht, das Teilhabe oder Nicht-Teilhabe bzw. Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit herausbildet. Die untersuchungsleitende These ist, dass diese mikropraktischen widersprechenden und sich Widersprechenden/widersprüchlichen Teilhabeprozesse Widerstandsweisen ausbilden, welche sich angesichts ihrer Relationalität und Abhängigkeit zum Normativen immer nur in fortwährenden Teilhabeprozessen performativ vollziehen können.
Sebastian Dieterich stellt ästhetisch angetriebene Praktiken des Zusammenmachens in soziokulturellen Projekten ins Zentrum seines Arbeitsbereichs „Do it together“ – zu einer Mikropraxis der Existenz. Er beleuchtet das gemeinsame Gärtnern und Kochen, Praktiken des Teilens, des Reparierens oder des Handwerkens in offenen Werkstätten sowie Praktiken der Selbstorganisation und der (Wieder-)Aneignung von Stadtraum. Dabei soll unter der einheitlichen Perspektive der Mikropraxis das widerständige aber immer auch pharmakologische Potential dieser Praktiken herausgearbeitet werden.
Anliegen ist es Mikropraktiken als sinnlich-körperliche, reflexive, diskursive und vor allem experimentelle Verfahren sichtbar werden zu lassen, die Widerstand und Engagement als pharmakologische Praxis der Teilhabe reflektieren.
Alkemeyer, Thomas / Gunilla Budde / Dagmar Freist, „Einleitung“, in: Diess. (Hrsg.), Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld: transcript 2013, 9–30.
Deleuze, Gilles / Guattari, Félix (1997), Tausend Plateaus, Berlin: Merve.
Foucault, Michel (2005), „Diskussion vom 20. Mai 1978“, in: Ders., Dits et Ecrits. Bd. IV 28. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 25-43.