Ausstellung, Film & Barrierefreiheit – kulturelle Teilhabe und digitale Inklusion – Einblicke in ein Praxisseminar

Kulturelle Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen ist wichtiger Bestandteil aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse und Praktiken. Kulturinstitutionen wie Museen sowie auch Filmproduktionen, Verleiher und Fernsehanstalten beschäftigen sich daher in den letzten Jahren zunehmend mit den Themen Barrierefreiheit und Inklusion. Vor diesem Hintergrund ermöglichte die Lehrveranstaltung an der Universität Konstanz im Fachbereich Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften den Studierenden ein Verständnis der Potenziale und Herausforderungen der Medien „Ausstellung“ und „Film“ und setzte dies mit Diskursen über Inklusion, Barrierefreiheit und Behinderung. Geleitet und durchgeführt wurde die Veranstaltung von Jurek Sehrt und Dr. Robert Stock im Sommersemester 2019.

Den Auftakt bildete eine theoretische Sitzung in Konstanz (25./26. Mai 2019). Dort wurden rechtliche Grundlagen wie die UN-Behindertenrechtskonvention und die Pflicht zur Erstellung barrierefreier Fassungen seitens der Filmförderungsanstalt (FFA) besprochen. Des Weiteren galt es, verschiedene Zugänge zu audiovisuellen Medien zu erörtern, die etwa durch Untertitelung (SDH), Audiodeskription (AD) oder Deutsche Gebärdensprache u. a. auf Basis von digitalen Anwendungen wie Apps ermöglicht werden. Darüber hinaus fand eine Auseinandersetzung mit Ausstellungen und der Konzeption inklusiver Elemente (Texttafeln, inklusiver Audioguide, Tast-Objekte, Film als Ausstellungsobjekt, taktiles Leitsysteme etc.) statt.

Im zweiten Teil des Seminars haben wir uns mit dem Thema praxisnah auseinandergesetzt und sind dazu nach Berlin gefahren, um mit Expert*innen zu sprechen und Best-Practice-Beispiele kennenzulernen.

Hörfilmkino an der Deutschen Kinemathek

Das Bild zeigt Studierende mit Simulationsbrillen des DBSV bei der Hörfilmvorstellung in der Kinemathek
Das Bild zeigt Roswitha Röding vom ABSV und Jurek Sehrt im Anschluss an die Hörfilmvorstellung in der Diskussion mit Gästen und Studierenden

Am 5. Juni 2019 haben wir die Vorführung eines Hörfilms an der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen besucht. Der Film „Der Vorname“ (D, 2018) wurde dort mit offener Audiodeskription – einer ergänzenden akustischen Beschreibung für Blinde und Sehbehinderte – gezeigt. Die Veranstaltung wurde vom Bereich Bildung und Vermittlung in Kooperation mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) organisiert. Während des Films nutzten wir Simulationsbrillen des DBSV, um einen Eindruck sehbehinderter Filmwahrnehmung zu erlangen. Im Anschluss konnten wir uns mit der Roswitha Röding, Hörfilmbeschreiberin und Mitglied des ABSV, austauschen, die uns über ihre Erfahrungen in der Produktion von Hörfilmen und ehrenamtliche Tätigkeit als Mitglied des Arbeitskreises Kultur und Freizeit des ABSV berichtete.

Inklusive Vermittlungsangebote an Berliner Museen, 6. Juni 2019

Deutsches Technikmuseum Berlin

An der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin erkundeten wir die inklusiv gestaltete Infothek der ständigen Ausstellung und besuchten danach die Sonderausstellung “Mensch in Fahrt” sowie “Das Netz”. Iris Kühnberger (Leitung Bildung & Besucherforschung, Deutsches Technikmuseum) gab in einem Fachgespräch Einblicke in das institutionelle und persönliche Verständnis von Inklusion, und informierte uns über konkrete inklusive Vermittlungsangebote, Prozesse der Ausstellungsgestaltung und die Zusammenarbeit des Museums wie dem ABSV und anderen Communities sowie der Lebenshilfe Berlin.

Auf dem Bild sieht man die Seminargruppe im Gespräch mit Iris Kühnberger vom Technischen Museum
Das Bild zeigt Studierende beim Erkunden der Infothek mit Tastobjekten im Technischen Museum
Das Bild zeigt den taktilen Plan der Sonderausstellung “Das Netz” im Technischen Museum

Berlinische Galerie

In der Berlinischen Galerie (BG) besuchten wir den Sammlungsbereich unter Anleitung des Trainees und zukünftigen Referenten für Barrierefreiheit Andreas Krüger. Als Kultur- und Museumsexperte, der selbst sehbehindert ist und sich mit dem ABSV landesweit engagiert, hat uns Herr Krüger von der Genese inklusiver Arbeit an BG berichtet, das aktuelle inklusive Vermittlungskonzept des Museums und hier insbesondere die barrierefreie Sammlungspräsentation erläutert und Fragen zum taktilen Leitsystem und Tastobjekten in der Ausstellung, der inklusiven App der BG, dem Beacon-System, den Bildbeschreibungen beantwortet.

Auf dem Bild erläutert der Trainee Andreas Krüger der Seminargruppe in den Ausstellungsräumen der Berlinischen Galerie die Angebote des Museums für blinde und sehbehinderte Mensche
Das Bild zeigt das Tastmodell zu Iwan Punis “Synthetischer Musiker” (1924) als Bestandteil der barrierefreien Sammlungspräsentation in der Berlinischen Galerie, hergestellt vom Deutsche Blindenanstalt e.V. (blista)

Deutsches Historisches Museum

Am Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM) haben uns Friedrun Portele-Anyangbe und Brigitte Vogel-Janotta vom Fachbereich Bildung und Vermittlung Einblicke in die verschiedenen inklusiven Angebote ermöglicht. Beim Besuch der Ausstellungen “Weimar. Vom Wesen und Wert der Demokratie” und dem “Demokratie-Labor” konnten wir über inklusive Kommunikationsstationen (IKS), Gebärdensprach-Angebote, Tastmodelle, Ausstellungstexte in leichter Sprache sprechen und generelle Herausforderungen barrierearmer Ausstellungen diskutieren.

Foto von der Ausstellung “Weimar. Vom Wesen und Wert der Demokratie”, in der Friedrun Portele-Anyangbe den Studierenden eine inklusive Kommunikationsstationen (IKS) mit Texten in Englisch, einfacher Sprache, Braille, Gebärdensprachvideo und Tastobjekt vorstellt. Am Boden ist das taktile Leitsystem der Ausstellung erkennbar.

Fachgespräche zu Museum und Inklusion, 7. und 8. Juni 2019

TUECHTIG COWORKING SPACE

Den 7. Juni 2019 verbrachten wir in Deutschlands erstem inklusiven Coworking Space TUECHTIG in den Osram Höfen. Stefan Friese von Kopf Hand + Fuß erläuterte uns die verschiedenen Angebote, Veranstaltungen und Projekte, die der Coworking Space für alle Menschen und ihre selbständigen Tätigkeiten bietet.

 

Das Bild zeigt das Logo von Tuechtig. Raum für Inklusion, Berlin, Osram Höfe

Museum, Film und Deutsche Gebärdensprache

In einem Fachgespräch informierte uns Benedikt Sequeira-Gerardo von YOMMA über die Gebärdensprachvideos für Ausstellungen, die Zusammenarbeit mit dem DHM, inklusive Ansätze für taube Menschen und den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher*innen im Fernsehen und Film. Unterstützt wurden wir dabei von einer Laut- und Gebärdensprachdolmetscherin.

Auf dem Bild erklärt Benedikt Sequeira-Gerardo von Yomma der Seminargruppe, wie die Gebärdensprachvideos für die Objekte in den Ausstellungen des Deutschen Historischen Museums produziert werden. Für die reibungslose Kommunikation sorgt eine Laut- und Gebärdensprachdolmetscherin (rechts im Bild). Im Hintergrund ist ein Making-Of der Zusammenarbeit von Yomma und dem DHM zu erkennen.

Einfache Sprache in Ausstellungen und Museen

Im Dialog mit David Parmentier, Hildegard Wittur und Benjamin Titze von der Kunstwerkstatt Kreuzberg der Lebenshilfe Berlin sprachen wir über den Berliner Museumsführer in einfacher Sprache und das Wirken der Kunstwerkstatt in den Berliner Kulturbetrieb. Wir erfuhren dabei von dem umfangreichen Engagement, mit dem sich Frau Wittur und Herr Titze sowie andere Mitglieder der Kunstwerkstatt in Berliner Museen als Aktivisten, Kunst- und Kulturproduzenten aber auch als Expert*innen für inklusives Arbeiten einbringen. Die vielfältigen Tätigkeiten umfassen Publikationen wie den o.g. Museumsführer, Schulungen für Museumspersonal, inklusiv-künstlerische Workshops als Teambuilding Maßnahme, inklusive Führungsangebote an der Berlinischen Galerie und dem Technikmuseum u.v.m.

Auf dem Foto sind David Permantier, Benjamin Titze und Hildegard Wittur von der Lebenshilfe Berlin zu sehen, die mit Robert Stock und den Studierenden über den Museumsführer in einfacher Sprache sprechen

Best Practice Beispiele personaler Vermittlung an der Deutschen Kinemathek

Zusammen mit der Führungsreferentin und Filmschaffenden Gitte Hellwig erkundeten wir am 8. Juni 2019 die Dauerausstellung der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und sprachen mit ihr über die Herausforderungen persönlicher Vermittlungsarbeit in Ausstellungen im Hinblick auf unterschiedliche Fokusgruppen (Schüler*innen, Familien, Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Fluchterfahrungen). Im Vorfeld erläuterte Jurek Sehrt die inklusiven Angebote des Museums für blinde und sehbehinderte Personen, taube Menschen sowie die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Verbänden bei der Erarbeitung und Durchführung inklusiver Ausstellungsführungen oder Workshops.

Das Bild zeigt Gitte Hellwig mit Studierenden in der Ständigen Ausstellung der Deutschen Kinemathek

Gruppenarbeit und Pitch am 8. Juni 2019

Es wurden kleine, praktische Gruppenarbeiten realisiert. Die Studierenden setzten sich dabei möglichst praxisnah mit den Inhalten aus den Blockterminen, Ausstellungsbesuchen und Fachgesprächen auseinander. Sie entwickelten Ideen für ein inklusives Element/Format/Inhalt o. ä. an einem Berliner oder Konstanzer Museum bzw. Ausstellung (Text, Film, Gebäude, digitales Hilfsmittel, Online-Präsentation aber auch darüber hinaus). Diese vielfältigen und kreativen Ideen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Inklusion und Barrierefreiheit widerspiegelten, wurden in Form eines Pitches präsentiert und gemeinsam diskutiert.

 

Folgende Themenfelder wurden gruppenweise bearbeitet:

  • AG1: Texte einfacher, verständlich und zugänglich, z.B. Ausstellungstext, Website, Besucherinformation oder neuer, bislang fehlender, Text
  • AG2: Leitsystem/ Wegführung im Gebäude (Neu/ Erweiterung)
  • AG3: Hands-On-Materialien (für eine neue Zielgruppe/ Erweiterung bestehender Bestände)
  • AG4: Audiodeskription zur Ausstellung, Institution, Medium (Inhalte, Aufbau, Produktion Beispieltext …)
  • AG5: Digitale Potenziale und neue Technologien nutzbar machen: Einsatz von bestehenden Apps/ Anwendungen, Smartphone-Funktionen zur Behebung/Reduktion von Barrieren

Dank

Wir danken allen Expert*innen sehr herzlich für Ihre Zeit und Geduld unsere Fragen bezüglich der Themen Inklusion, digitale Medien und Ausstellungsgestaltung zu beantworten.

Dem Fachbereich Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften sowie der Abteilung Transfer in der Lehre an der Universität Konstanz sei für die finanzielle Unterstützung der Exkursion im Rahmen dieses Praxisseminars gedankt.

 

Text und Bilder: Jurek Sehrt und Robert Stock

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