Neuerscheinung _ Gérard Granel: Die totale Produktion

„Für ihn [Marx] ist die Produktion nicht irgendein, sondern DER BEZUG zum Seienden.“ (Gérard Granel)

Vor Kurzem ist Die totale Produktion. Technik, Kapital und die Logik der Unendlichkeit von Gérard Granel bei turia + kant erschienen. Die Texte dieses französischen Denkers, Übersetzers und Verlegers wurden von Erich Hörl herausgegeben, der auf diesem Weg den deutschsprachigen Lesenden die zentrale Problematik Granels zugänglich macht: das Denken der Produktion. Granel ist hierzulande wenig bekannt, obwohl er enger Freund von Jean-Luc Nancys war, der durch ihn habilitiert wurde und sein philosophisches Denken neben Philippe Lacoue-Labarthe, Bernard Stiegler auch Jacques Derrida wesentlich beeinflusste. Der Band versammelt Übersetzungen von verstreuten Überlegungen, um – auf fragmentarische Weise – das zentrale Argument dieses intellektuellen Werks herauszuarbeiten. Darunter befinden sich Aufsätze, die bereits zu Lebzeiten publiziert wurden, Texte aus dem Nachlass sowie Auszüge aus den Vorlesungen, die Granel in einer seiner produktivsten Schaffensphase in den 1970er und 1980er Jahren an der Universität von Toulouse gehalten hat.

„Seinsgeschichte verwandelt sich in Produktionsgeschichte, wird in ihrer Materialität und eingeschrieben ins Werden der Produktion begriffen, bis hin zur Perversion der Produktion im Kapitalismus.“ (Erich Hörl über Granel)

Wie Hörl mit Bezug auf Derrida und Althusser erörtert, situiert sich Granels Denken der Produktion im Spannungs- bzw. Abstoßungsverhältnis der Philosophie Heideggers und dem Marxismus. Auf der Grundlage einer „Pfropfung von Heidegger und Marx“ (S. 9) verdichtet sich bei Granel eine Reflexion von weitreichender Bedeutung – die auch für gegenwärtige Leser*innen überaus aufschlussreich sein wird. Seine Diagnostik erweist sich Hörl zufolge als zentral für das Verständnis der Moderne als einer „technokapitalistischen Weltweitwerdung“ (S. 11) und radikalen Entweltlichung:

„Im gegenwärtigen Moment einer kulminierenden Herausforderung des Kapitalozäns, in der die Welt ihre Fähigkeit, eine Welt zu bilden, vollends verloren zu haben scheint, ist sie [die Problematik Granels] unerhört virulent und aktuell. In Gestalt einer total gewordenen, alle Existenzweisen durchziehenden, um nicht zu sagen heimsuchenden unendlichen Produktion erscheint sie nachgerade als unsere Problematik überhaupt.“ (S. 12)

Granel konturiert anhand der Werke des jungen Marx einen „Philosophen-Marx“, ganz entgegen der Auffassung eines „Wissenschaftler-Marx“ (S. 11), wie ihn Althusser und andere französische Autoren in den 1960er Jahren prägen. Ihm geht es um eine „ontologische Bestimmung“ von Produktion, die er anhand einer hermeneutischen Lektüre von Marx und angesichts des ‚Endes der Philosophie‘ herausarbeitet. Den Begriff der Produktion bestimmt Granel folglich in einer Weise, die weit über dessen industrielle Dimension hinausgeht: „da ja die Produktion als ‚Produktion des Lebens‘ die ‚Produktion der ganzen Welt‘ inklusive ‚des Bewusstseins‘ ist und somit die Geschichte einläutet, deren Geschichtlichkeit darin besteht, dass sie ‚Weltgeschichte‘ ist.“ (S. 20) Das Denken Granels umreißt eine „Ontophänomenologie der Moderne“ als „Zeit der unendlichen Produktion“ (S. 29), indem er den Heideggerschen Begriff der Technik und den Kapitalbegriff Marx‘ zusammenbringt. Letztlich wirft Granels Werk auf diese Weise die Frage einer Kritik der totalen Produktion auf: er fordert zu einer In-Frage-Stellung der Logik des Unendlichen und jener gegenwärtigen „Kapital-Form“ auf, die sich alles „einverleibt“ (S. 31).

Gérard Granel: Die totale Produktion. Technik, Kapital und die Logik der Unendlichkeit. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Erich Hörl. Aus dem Französischen von Laura Strack. Wien: Turia + Kant 2020.

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